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Brief (Transkript)

Anton Bayer an seinen Bruder am 29.5.1944 (3.2002.7570)

 

Russland, 29.5. 1944.



Lieber Jung!

Eigentlich sollte das ja ein Namenstagsbrief für Dich werden, aber dazu wird er nun doch zu spät kommen. Dabei versuche ich schon seit vielen Tagen Dir zu schreiben, aber es ist immer etwas los. Du weißt ja selbst, wie es einem oft geht. Erinnerst Du Dich noch, wie wir im vorigen Jahr Deinen Namenstag zwar unter primitiven Verhältnissen aber doch ganz gemütlich gefeiert haben. Leider geht das nun nicht mehr. – Vorgestern habe ich Deinen Brief vom 9.5. bekommen er ist also reichlich lange unterwegs gewesen. Für Deinen Brief herzlichen Dank, er war mal wieder sehr inhaltsreich. Deine Briefe gehören überhaupt immer zu den zweitangenehmsten, die ich kriege. (Ich habe auch noch für Deinen Brief vom 31.3. zu danken.)
Mit Deinem Urlaub hast Du ja nun wieder einmal Pech gehabt. Mit Deiner Schilderung habe ich nun zum ersten mal ausführlicher über den schweren Angriff auf Aachen gehört. Das muss ja fürchterlich gewesen sein. Inzwischen sind nun schon wieder 2 Angriffe gewesen. Man mag gar nicht daran denken! Die armen Lieben zu Hause. Es freut mich aber doch sehr, daß Du bei den lieben Schwesterlein eine liebe Aufnahme gefunden hast. Das möchte ich auch gerne mal wieder haben. Und Du glaubst, daß Du Weihnachten schon wieder in Urlaub bist? Ich rechne ungefähr mit der gleichen Zeit und bin im Februar gewesen. Es wäre ja prächtig, wenn wir uns da irgendwo, vielleicht in Cranz treffen könnten. (Wenn nur der Krieg vorher nicht zu Ende ist, und wir um unseren Urlaub be ... trogen werden!)
Daß Du es jetzt nicht so besonders angetroffen hast, ist schade. Aber vielleicht hat sich das inzwischen auch schon wieder geändert. Ich habe immer noch meine alte Tätigkeit als Dolmetscher, interessant und sehr vielseitig. Mit dem Kompaniechef habe ich nichts mehr zu tun, nicht einmal mehr U.v.D. und so etwas. Natürlich komme ich dabei auch nicht weiter, nur in den russischen Sprachkenntnissen. Aber das ist mir vielleicht auch mehr wert. Eine Dorfevakuierung habe ich zum Glück noch nicht durchführen brauchen. Aber ich habe ununterbrochen mit den Auswirkungen zu tun, und deshalb habe ich vollstes Verständnis für Deine Gefühle dabei. Ich stehe ja auch ziemlich dazwischen. Auf der einen Seite höre ich vom frühen Morgen bis zum Abend die Bitten und Klagen, und wenn man die Sprache einigermassen versteht, kann man sich dem ja nicht verschliessen, zumal man eine entsprechende Erziehung genossen hat – auf der anderen Seite stehen die mehr oder weniger zwingenden und klaren militärischen Notwendigkeiten. Und wenn man zu häufig zu helfen versucht, fällt man auf die Dauer lästig. Aber ich mache mir nicht allzu viel daraus. Vor allem vertrete ich immer wieder den Standpunkt, daß eine nach Möglichkeit hilfreiche Behandlung der Zivilbevölkerung und ein Verständnis für ihre Nöte das wirksamste Mittel gegen die Partisanengefahr ist. Ich will mich dabei auch keineswegs beklagen, denn es geht mir besser als jemals bisher seit meiner Wiedereinberufung. Ich lebe gut und bin dabei nicht einmal auf meine 4 Hühner angewiesen. Auch mancher Samogonka rinnt durch meine durstige Kehle. Es ist häufig sehr lustig. – Daß ich auf der Schreibstube wohne, schrieb ich wohl schon. Unser oller Spiess, den Du ja auch kennst, ist jetzt im Zuge der Entrümpelung der älteren Jahrgänge während seines Urlaubs zurückversetzt worden. Wir warten jetzt mit gemischten Gefühlen auf einen neuen zackigen aktiven Spiess, der hierherversetzt wird. Übrigens war ich mit unserm ollen zuletzt ganz gut zurechtgekommen. – Das Verhältnis zum Chef, den Du ja auch kennst, ist im allgemeinen ganz gut, aber aus obengenannten Gründen etwas schwankend. Aber, wie gesagt, im Grossen Ganzen lebe ich wie auf einer glücklichen Insel. Leider komme ich zu keiner privaten Tätigkeit mehr. Einige Ansätze, die ich wieder zum Reimen gemacht habe, haben sich im Trubel im Sande verlaufen. –
Sehr lieb war es von Dir, daß Du versucht hast, Dich meines armes Schwiegervaters etwas anzunehmen. Für ihn ist es ja jetzt wirklich sehr hart und ich glaube nicht, daß er sich nochmal zu einem tätigen Lebensmut aufraffen wird. In der Wohnung meiner Schwiegereltern sind dann auch einige Sachen von mir verbrannt, das Bild von v. Brandis, ein gerahmtes Pastell von mir, das Aquarell, das Agnes Preiß einmal von mir gemalt hat und so dies u. das, Aber es gibt Schlimmeres. Unsere eigenen Sachen sind jetzt auch ziemlich in der Weltgeschichte verstreut, ich weiß selbst nicht genau wo, in Österreich, bei Regensburg, in Aachen, irgendwo im Rheinland u.s.w. Unsere Cranzer Wohnung, in der ich im letzten Urlaub noch so schöne Stunden verlebt habe, ist nur noch provisorisch eingerichtet. Ob wir überhaupt noch einmal ein geregeltes bürgerliches Leben führen werden? Oder ob wir bis zum Ende abenteuern und vagabundieren werden müssen? Nun, wir wollen den Kopf nicht hängen lassen! Also, lieber Nöres, dann lebe wohl und schreibe bald mal wieder. In letzter Zeit habe ich einen lieben Brief von Elisabeth bekommen. Sonst erfahre ich von der Familie beinahe nichts. Aber man darf ihnen das ja nicht übelnehmen.
Herzlichen Gruss und alles Gute!

Dein Bruder Tyn.

 

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