Nach Zeitraum suchen

von 
bis 
SUCHE ZEITRAUM
Bestandskatalog PDF

Brief (Transkript)

Anton Bayer an seine Ehefrau am 11.7.1944 (3.2002.7570)

 

Russland, 11.7.1944


39

Liebe Marilott!

Nun sind wir unterwegs, allerdings erst seit wenigen Stunden. Wir wollen hoffen, daß wir aus dem, was sich da zusammenzieht, noch heil herauskommen. Wenn mein bisheriges Glück mich nicht verlässt, dann muss es auch diesmal gutgehen. Der Start ist für mich günstig. Ich bin nämlich seit 2 Tagen als Zeichner zum Stab abkommandiert worden, fahre in einem kräftigen Wagen mit und habe nicht die grossen Strapazen der anderen Kameraden mitzumachen. So will ich denn den Mut nicht vorzeitig sinken lassen – auch wenn die Artillerie im Augenblick in nächster Nähe gewaltig ballert, denn es ist ja die eigene. Umso mehr Unruhe mache ich mir um Euch. Du wirst unser Heim ja nun schon aufgegeben haben und Winterhagens vielleicht auch schon, falls sie überhaupt hingezogen sind. Aber wo Du nun bist, kann ich nur ahnen. Post werde ich von Dir ja so bald nicht mehr bekommen. (Deinen Brief 28 habe ich aber noch bekommen.) Ich werde Dir zunächst nach Beuthen schreiben, von wo Dir die Post ja ggfs. nach Tarnowitz nachgesandt würde. Oder ob Ihr schon nach Ybbs seid? Mögen sich nun die von Dir mit viel Mühsal eingeleiteten Maßnahmen zu Eurem Wohle auswirken, sodaß die Hoffnung bleibt, daß wir uns einmal irgendwo mit einem Teil unserer Habe wiederfinden. Wie herrlich wird das sein! Als man es noch täglich hatte, wusste man garnicht, wie gut man es hatte und machte sich das Leben wegen Kleinigkeiten oft unnötig schwer.
In den letzten Tagen hatte ich noch schwere Erlebnisse, die mich tief beeindruckt haben. Wir hatten wegen Aufgabe des Gebietes harte Massnahmen gegen die Zivilbevölkerung durchzuführen. Maßnahmen, die im Interesse der Truppe unbedingt erforderlich waren, die aber vor allem für mich, wo ich die Leute als Dolmetscher so gut kennengelernt hatte und ihr ganzes Vertrauen besass, besonders schmerzlich waren. Und trotzdem haben sich viele trotz ihres Leids, mit Tränen in den Augen, in herzlicher Weise und dankbar von mir verabschiedet. Es fehlte nicht an Segnungen und anderen Zeichen dieser Gesinnung. Aber dies alles kann ich Dir nur mündlich einmal richtig erzählen. Wann wird das sein und was wird bis dahin noch alles passieren? – Ich schliesse nun zunächst um bei nächster Gelegenheit weiter zuschreiben. Der Brief geht vorläufig ja doch nicht fort.
13.7.1944
Es ist Morgen. Wir liegen seit vorgestern Abend in einem Waldlager in primitiven Bunkern. Kümmerlicher Kiefernwald, durch Stellungsausbau und Lager verwüstet. Aber immerhin ist man nach der „zivilisatorischen“ Verwöhung im Russendorf mal wieder naturnaher. Die Berliner kommen sich direkt vor wie im „Jrunewald“ zum Wochenende, wozu die Stullenpapiere und Konservendosen ihr Teil beitragen. Grammofonmusik wird durch das Radio vorgetäuscht und es fehlen nur die „Weiber“. Gestern habe ich nun einen Tag in soviel Ruhe verbracht, wie es mir wohl seit meiner Einziehung noch nicht passiert ist. Ich habe eine Novelle und einen 30-Pfg.-Roman ausgelesen (Ölmagnaten, Spielbank, Orientexpress, Venedig, Budapest, spanischer und arabischer Freiheitskampf, verworfene Grossspekulanten und ein aufrechter deutscher Mann, der mit Hilfe einer betörend schönen Frau, die ihn einfangen soll aber heimlich auf seine Seite tritt, mit allen Teufeln fertig wird.) Du siehst, wie ich davon beeindruckt bin.
Demgegenüber war die Novelle „Vom Morgen bis zum Abend“ ein Stückchen besser. – Ausserdem habe ich gestern geschlafen, wie seit Monaten nicht mehr. Und das in solchen Tagen! Die Vergangenheit der letzten Monate mit ihrer engen Gebundenheit ist nun hinter uns versunken. Diese Nacht habe ich geträumt, ich hätte wieder so einen unangenehmen Räumungsauftrag. Ich träumte es so deutlich, daß ich aufstand und mich fertigmachte. Als ich vor den Bunker in den Wald trat, wurde mir langsam klar, daß es wohl nicht ganz stimmen konnte. Der Traum hat mich aber anschließend doch noch weiter beunruhigt.
Nun erzähle ich Dir solche Belanglosigkeiten. Dabei ist das Herz voll von schweren Gedanken, vor allem um Euer Wohlergehen. Aber ich tappe da ja so im Dunkeln und weiss nur, daß Ihr jetzt den Kopf voller Sorgen und Entscheidungen habt. In Ostpreussen, Bialystock, Ziechenau wird die Unruhe jetzt allgemein gross sein. Was hat Swantje eigentlich vorgehabt? Und unsere vielen ostpreussischen Bekannten?
Ich schliesse, um den Brief heute vielleicht fortzubekommen. In Gedanken bin ich jetzt ständig bei Euch. Wenn ich beten könnte, würde ich es jetzt für Euch tun.
In herzlichem Gedenken

Dein Tyn

 

top