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Brief (Transkript)

Franz Siebeler an seine Eltern am 30.1.1941 (3.2002.1285)

 

30.1.41. 19.30 Uhr



Ihr Lieben!

Sende Euch aus dem augenblicklichen Aufenthaltsort die allerherzlichsten
Eben gerade habe ich die Post vom Schloss geholt und Eure zwei lieben Päckchen vom 28.1. erhalten. Das ist doch fabelhaft schnell gegangen. Zwei Tage für diese lange Strecke, das ist direkt enorm. Aber das Kuriose dabei ist es, dass das Kuchenpäckchen vom 29.1. sowie Papas Brief vom 27.1. noch nicht eingetroffen ist. Auch Muttis Brief vom 20.1. ist erst am 26.1. in meine Hand gekommen. Über kurz oder lang werden die beiden Rückzügler schon eintreffen! Die Tabletten kann ich sehr gut gebrauchen. Von Eu-Med habe ich zwar noch einige, doch die Halstabletten waren restlos alle. Nach dem furchtbaren Tauwetter herrscht jetzt wieder eine spürbare Kälte. Heute morgen hatten wir wieder – 18 Grad C, aber des Mittags scheint dann die Sonne vom klarblauen Himmel. In unserer Unterkunft ist es ganz gemütlich, nur gegen Morgen, wenn die beiden Öfen ausgehen, ist es empfindlich kalt. Ich wickle mich, so gut es geht in die zwei Decken ein und sehe zu, wie ich einschlafe. Seit unserer Versetzung nach hier ist noch ein Landsmann bei uns. Er wohnt in Grosswerther und hat bei Fleischermeister Weber gelernt. Er heisst Willi Schwabe. Lässt seinen Lehrmeister herzlichst grüssen. Unser Offizierskorps ist z.T. katholisch. Der Chef des Stabes, Oblt. Weiss stammt aus der Ostmark und hat schon im österreichischen Bundesheer gedient. Der Adjutant des Kommandeurs, Oblt. Graf Schall-Riauour stammt aus der Lausitz, hat in Paderborn studiert. Sein Bruder ist Geistlicher. Übrigens hat der Adjutant noch zwölf Geschwister. Auch unser stllv. Chef., Lt. Schultheis, ist Katholik und ist im Zivil Apotheker in Bonn. Die meisten Angaben weiss ich aus den Wehrpässen. Am 2.2. werde ich wahrscheinlich mit einigen Kameraden nach der Hauptstadt des Prot. fahren. Wenn man in der Gegend ist, will man ja auch mal was sehen. Mutti möchte nun gern wissen, ob es etwas zu kaufen gibt. Das muss ich leider verneinen. Alles geht auf Karte, genau wie daheim. Einige wenige Esswaren gibt es im freien Verkauf sind aber auch sehr teuer. Anfangs gab es wohl noch Pralinen, Bonbonieren usw. Trotz des hohen Preises haben die Soldaten alles weggekauft. Die Schaufenster stehen alle leer. Übrigens ist unser Aufenthaltsort ein blödes Nest, wo es nicht viel gibt. Nun muss ich vorläufig schliessen, da die Mittagszeit um ist. Ich trete wieder den Weg zum Geschäftszimmer an.
Während ich jetzt schreibe, ist es ganz still um mich. Zur Abwechslung habe ich mal wieder Wache. Aber keine mit Gewehr und Stahlhelm, sondern Telefonwache auf dem Abt.-Geschäftszimmer im alten, vielhundertjährigen Schloss. Mein Kamerad schläft gerade. Ab und zu unterbricht mal ein Klingeln die Stille. Soeben ist noch spät die Post gekommen und Papas Brief vom 26.1. war auch dabei. Liebe Mutti! Entschuldige bitte, dass ich Deinen Geburtstag vergessen habe. Aber augenblicklich liegen wir im Ausland und da jagt eine Übung die andere. Ausserdem mussten wir noch alle Räume einrichten, sodass ich in der Aufregung gar nicht an Dich gedacht hatte. Auch jetzt vertrete ich nur einen Kameraden, weil er mit zur Nachtübung ausgerückt ist. Sonst brauche ich als Schreiber keine Wache mehr schieben. Ich bin bei der Saukälte auch nicht böse darum. Die andern Kameraden kommen recht oft dran. Das Ihr mal ins Kino gegangen seid, müsste eigentlich in die Zeitung. Das sind doch sicher einige Jahre her, seit ihr Euch einen Film angesehen habt. Hoffentlich geht Ihr nun auch mal öfters hin, denn es werden doch ab und zu recht nette Filme gezeigt. Wir haben diese Vergnügungen leider nicht. Ein Kino ist zwar hier, doch zeigt die Bruchbude nur tschechische Filme und da gehen wir nicht hin, weil wir doch nichts verstehen. Morgen zum Sonnabend werde ich mit einigen Kameraden nach der nächsten Stadt fahren, rd. 40.000 Einwohner gross. Vielleicht bietet sie etwas mehr Abwechslung. Auf jeden Fall freuen sich schon alle auf den Tag, wann wir von hier wegkommen. Das Kuchenpäckchen vom 22.1. ist noch nicht eingetroffen. Aber eines Tages wird es sich schon einfinden! Sonntag will ich zur Kirche gehen. Es sind zwei hier. Eine ist eine ehem. Klosterkirche. Das Kloster selbst ist heute eine Irrenanstalt, die grösste des Protektorates. Vorigen Sonntag ging es nicht, da der Chef unsere Unterkunft besichtigt hat. Vorher musste ich ins Geschäftszimmer. Überhaupt büsse ich durch die Schreibstube und Putzerei viel freie Zeit ein. Aber dafür sitze ich auch den ganzen Tag in der warmen Bude, während die andern draussen vor Kälte klappern. Schlimm ist besonders eines. Für uns 80 Man ist nur eine Waschgelegenheit da, eine Pumpe, Morgens im Dunkeln bei spiegelglattem Boden sich zu ihr zu finden, ist ein halsbrecherisches Kunststück. Ausserdem ist es ja auch noch sehr kalt, sodass man mächtig dabei friert. So werden wir langsam kleine Säue, die sich nur ein über den andern Tag waschen, bzw. Zähne putzen. Für heute könnte ich nichts Neues weiter berichten. Mutti noch nachträglich den allerherzlichsten Glückwunsch. Möge sie noch drei bis vier Jahrzehnte älter werden. Augenblicklich gibt es Urlaub. Vierzehn Tage! Aber schön der Reihe nach. Doch hoffe ich, im Laufe des Frühjahrs mal wieder nach Hause zu kommen. Doch hat es keinen Zweck, Luftschlösser zu bauen. Wer weiss, wo wir dann stecken! Nun seid alle recht herzlichst gegrüßt und geküsst.
Von Eurem Franz.

 

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