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Brief (Transkript)

Ernst Guicking an Irene Guicking am 14.11.1944 (3.2002.0349)

 

Im Westen, den 14.11.44



Liebste gute Frau,

heute ist unser Chef nach Schlettstadt. Ich glaube, er ist auch zur Post. Er wird sicher vor Dunkelheit nicht zurück sein. Mein Bobelchen, hier bei uns ist schon seit vorgestern alles weiß. Es ist aber trotzdem noch schön mild. Wir waren heute morgen wieder in den Bergen, haben uns im Schnee herumgewälzt. Wir haben gar nichts zu tun jetzt. Der Abmarschbefehl, er kommt nicht und wir haben schon einige Tage gepackt.
Ich bin mal gespannt, was für Päckchen in der letzten Zeit angekommen sind. Es sind doch noch 17 unterwegs. Das von Hoffmann zählt da nicht mit. Ich sagte ja schon, die Mutziger Sendung hast Du alle und die zweite Sendung ist numeriert von 1-7 und die dritte von 1-10. Außer diesen läuft jetzt noch das Zwiebelpaket. Mußt mir die Nummer immer schön quittieren.
Ja, mein Schatz, Du hast mich so oft in Deinen Briefen aufgefordert, doch mal einen Brief zu schreiben, wie Du sie so gern hast. Ja, Irene, Du darfst mir aber nicht übelnehmen, wenn ich das bis jetzt noch nicht getan habe. Du darfst nicht glauben, daß man das so ohne weiteres aufs Papier bringen kann. Man muß sich da in einer Verfassung befinden, die solch einen Brief verlangt. Die Worte dürfen dann nicht lange überlegt sein, sondern sie müssen plötzlich da sein und in der Schrift auf dem Papier erscheinen. Wenn ich da vor dem Tisch sitze und erst überlege, was ich jetzt Schönes schreiben soll, nee, nee, mein Schatz, da laß ich es gleich sein. Also, mein Liebes, gedulde Dich. Auch die Zeit kommt wieder.
Es ist auch viel die Arbeit daran schuld. Ich habe wohl schon die Verwundeten gesehen, war vorn im Einsatz. Ich kann böse Sachen sehen, aber ich hab jetzt hier im Lazarett, wo sich ja alles sammelt, ich hab dabei gestanden, im Operationssaal. Es sind zwei Tische. An jedem wird gearbeitet. Nee, Irene, ich kann Dir nur sagen, da denkst Du an alles andere, aber nicht an einen Brief, wie ich sie verschiedentlich schrieb. Zerrissen und zerfetzt liegen die armen Kerle da und die Ärzte, na ja, zu solch einer Arbeit wär ich verdammt nicht fähig. Ich hab mich nun schon auch hier wieder an sehr vieles gewöhnt. Und wenn man dann zu dieser Arbeit noch innerlich gezwungen wird, dann wird man auch darin hart. Ich habe mir schon so oft gesagt, warum eigentlich dieses Schlachten, denn anders kann man das nicht mehr bezeichnen. Ich kann Dir einfach nicht beschreiben, was alles hier für Verwundungen eingeliefert werden. Es ist schaurig. Es ist nur gut, daß wir wissen, wofür wir jetzt alle Kräfte zusammenraffen.
Siehst Du, und das muß verstanden sein. Das kann man nicht so ohne weiteres. Dafür mußt Du eben jetzt jeden Tag und jede freie Minute nutzen und das liegt ganz bei Dir. Da darf Dir nicht der Ärger im Nacken sitzen. Du darfst Dir keine Sorgen machen, um Dinge, die Deinen Kummer nicht verlangen. Halte Dich frei von so unnützen Dingen. Denke doch nur immer an Dich, mein Schatz. Denk an unsere Kinder. Denk doch auch an mich. Wir alle Drei und Du dazu, wir brauchen Dich jung und frisch, froh und gesund, mit lachendem Herzen. Deine Augen dürfen den Glanz nicht verlieren, den ich seit dem ersten Tage kenne, als ich Dich zum ersten Male gesehen und vor Dir gestanden habe. Ich brauch doch das alles und unsere Kinder nicht weniger. Du bist unsere Seele, und die ist uns doch so wertvoll.
Und glaube nicht, daß die Kriegsjahre verstreichen wie jedes andere. Manch einer ist zu einer stillen Überlegung gekommen und so mancher hat im Laufe der Zeit sein Herz in die Hand genommen und er hat es ausgewogen. Man mag es kaum glauben, wie tief das sitzt. Ich glaube auch, Du weißt es nicht. Ich hab es auch erst hier im Lazarett gesehen und gehört. Der Verwundete auf dem Tisch, der Arzt schneidet an ihm herum, hat ihm den ganzen Bauch aufgedeckt und was tut der Verwundete in der Narkose. Er unterhält sich mit seiner Frau. Sogar der Arzt hat für einen Moment aufgehorcht.
Ja, mein Schatz, solche Dinge gibt es und das hab ich erlebt. Was soll man dazu sagen? Das sitzt doch tief drinnen, wenn ein Mensch so reden kann, in der Narkose. Es muß doch tief sitzen. Wie froh kann so eine Frau sein, die einen solchen Mann hat, der sie über alles liebt. Denn aus seinen Worten konnten wir nur entnehmen, daß er seine Frau sehr gern hat.
Ja, mein Schatz, wenn ich doch immer wieder an diese Worte erinnere, so wie ich es heute wieder tue, dann glaube nicht, daß ich Dir nur etwas liebes schreiben möchte. Sondern denk immer daran, Du weißt, was ich sagen will. Die Zeit bleibt nicht stehen, aber der Mensch kann sehr viel für sich und seine Mitmenschen tun und Du tust es momentan wohl für Dich, aber nur ganz allein förderst Du die Liebe zum Leben, die Freude am Dasein und uns allen legst Du damit unser Glück auch in unsere Hände. Ich grüße und ich küsse Dich und unsere Kinder und ich bleibe in inniger ewiger Liebe.

Dein Ernst

 

 



Ansicht des Briefes

 

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