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Brief (Transkript)

Ernst Guicking an Irene Guicking am 18.11.1940 (3.2002.0349)

 

Im Westen, den 18.11.40



Liebste Frau,

Bobi, es ist furchtbar einsam hier. Der ganz Bau liegt still und verlassen. Ich habe von 18.00 Uhr bis jetzt 20.00 Uhr gelesen. Hab keine Lust mehr. Deshalb möchte ich mich etwas mit Dir unterhalten. Bei uns hier ist fast alles in Urlaub, fast sämtliche Unteroffiziere. Sie machen uns ja den Weg frei für Weihnachten. Und wenn die wieder zurück sind, dann werde ich antreten, sind unverheiratet. Die kommen alle wieder, wenn ich den Koffer packe. Ist auch ein angenehmes Gefühl, wenn man sich sagen kann, Du hast es noch vor Dir. Aber es ist doch furchtbar einsam, wenn man niemanden hat, um sich mal etwas zu unterhalten. Morgen abend geh ich um 19.00 Uhr weg. Da wird anständig gegessen und dann ein paar "Hellblonde" nachgegossen, damit ich mal wieder etwas Humor in den Bauch bekomme. Die Stadt ist ja im allgemeinen ganz annehmbar. Sie hat 30.000 Einwohner. Wird auch sehr viel geboten hier. Aber, wenn ich am Tage rausgehe, so wie am Sonntag, also gestern, nee, Kind, es ist bald nicht mehr zum ansehen. Diese verfluchte Schminkerei, angestrichen diese Weiber hier, Du glaubst es einfach nicht. Wenn ich das bei meiner Frau mal feststellen müßte, ich würde auf der Stelle den Koffer packen und ausreisen. So etwas verrücktes. Ich muß sehr oft an etwas anderes denken, sonst kommt mir der ganze Inhalt meines Magens bis an die Kragenbinde. Die knallroten Lippen, das gelb angemalte Gesicht, tiefschwarze Augenbrauen und dann rote Fingernägel. Mit solch einem äußerst auffälligen Trauerrand, mit einem Wort gesagt, eine große Sauerei. Es hat wirklich den Anschein, als wäre das ganze Frankreich ein großer Puff. Du müßtest nur um 22:00 Uhr mal durch die Straßen gehen. Die Franzosen ziehen es nicht mehr vor, in stillen Ecken zu gehen und sich mal zu drücken, zu küssen, nee, kein Gedanke. Mitten auf der Straße lassen sich die Weiber das Tollste gefallen. Nee, nee, Bobi, mich kann keiner mehr von Frankreich begeistern. Wie mag Paris erst seinen Namen hochhalten? Welch ein Gegensatz zu daheim. So, mein Schatz, jetzt habe ich Gesellschaft bekommen. Vier Flaschen Bier werden auch gleich eintreffen. Ich wünsch Dir einen ruhigen und einen erholsamen, süßen Schlaf. Ich küsse Deinen Mund und bleibe

Dein glücklicher Ernst

 

 



Ansicht des Briefes

 

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