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Brief (Transkript)

Wolfgang Kurth an seine Verlobte am 16.12.1945 (3.2002.0866)

 

den 16.12.45


6/

Meine geliebte, kleine Frau,
mein Dodilein! –

Endlich, endlich habe ich die erste Nachricht von zu Hause. Am 12.12. bekam ich nach ¾ Jahren die erste Nachricht von meiner Mutter, Siegfried und Ditta und weiss nun wenigstens Bescheid, wie es zu Hause aussieht. Aber glücklich kann ich doch nicht sein, denn noch immer fehlt mir jede Nachricht von Dir. Aber da mir Mutti nun Deine Hamburger Adresse geschrieben hat, kann ich dorthin schreiben und eine Hoffnung mehr, endlich wieder in Verbindung mit Dir zu kommen. Sag mal, mein Schlumpel, wie kann es denn nur sein, dass ich noch keinerlei Nachricht von Dir habe? Seit Juni schreibe ich Dir schon auf allen möglichen und unmöglichen Wegen und suchte Adressen, damit auch Du mir schreiben konntest. Aber alles vergeblich! Dodilein, hast Du überhaupt schon eine einzige Zeile von mir? Meine ganze Post natürlich noch nach Babelsberg, denn jetzt weiss ich ja erst, dass Du in Hamburg bist. Mutti hat die erste Nachricht von mir am 6.9. bekommen, und seitdem immer an mich geschrieben, nur ist die ganze Post jetzt erst angekommen. Sie wusste anscheinend nicht, denn Mutti hat sie von Opa Buchmann. Ihm habe ich auch geschrieben, denn ich wollte doch irgendwo etwas von Dir erfahren. Antwort habe ich noch von niemanden. Weißt Du, wem ich alles geschrieben habe, um von Dir etwas zu erfahren? Opa Buchmann, Gallo’s, Ritters, Rote Kreuz-Ufastadt, Oberbürgermeister usw. Wie ich schon schrieb, konnte mir noch niemand Antwort schreiben. Aber nun weiss ich wenigstens, wo Du sein könntest. Mein Lieb, bitte, bitte, schreib mir gleich. Ich wünsche mir zu Weihnachten nur, dass ich einige Zeilen von Dir habe. Ob mein Wunsch in Erfüllung geht? –
Herzelchen, wenn ich nun wüsste, dass Du noch keine Post von mir hast, dann müsste ich Dir das ganze verflossene Jahr schildern. Oder kann ich Dir nicht erzählen? Wie ist es, Dodilein, kannst Du mich nicht besuchen? Ach, wenn ich Dich nur erst wieder bei mir haben könnte! Aber ich will nicht zu anspruchsvoll sein, zuerst mal einen Brief von Dir! –
Tausend Fragen hätte ich nun noch an Dich. Ja, seit ¾ Jahren weiss ich nun nichts mehr von Dir. Mein Schlumpel, wie geht es vor allen Dingen Mutti, Vati und Janne? Wollt Ihr dort in Hamburg bleiben? Was macht die Babelsberger Wohnung und unser Zimmer, in dem wir so viele glückliche Stunden verlebten? Ja, meine kleine Frau, wie haben wir uns doch alles so anders vorgestellt, aber, Dodilein, wir werden uns nicht unterkriegen lassen. – Herzl, das Schreiben fällt mir heute etwas schwer; denn diesen Brief wirst Du sicher bekommen, und ich weiss doch garnicht, wie es Dir geht, in welchen Verhältnissen Du dort lebst usw.
Meine kleine, liebste Frau, wenn ich den ersten Brief, das erste Lebenszeichen von Dir habe, dann ist für mich Glückstag. Und dann soll unser Briefwechsel wieder in Schwung kommen. Ich kann ja vorläufig noch nichts unternehmen, denn ich bin ja noch immer Kriegsgefangener, wenn wir uns auch ziemlich frei bewegen können. Nachdem wir vom 8. – 29.11. im Gefangenenlager eine furchtbare Zeit verlebt haben, sind wir nun wieder als Arbeitsbataillon im Einsatz für den Amerikaner. Uns geht es ganz gut dabei, nur dass wir noch nicht entlassen sind und uns einige Beschränkungen gefallen lassen müssten. –
Mein Herzl, nun schreib mir bitte gleich, damit ich endlich eine Nachricht von Dir habe. Die Adresse, die ich als Absender angebe, ist die von meinen letzten Quartiersleuten. Dort komme ich ab und zu noch hin und mit der Doktorsfamilie stehe ich in dauernder Verbindung, sodass mir die Post immer schnell dorthin nachgeschickt wird, wo ich mich gerade befinde. Wenn es geht, will ich auch das Weihnachtsfest dort verbringen. Aber das sind noch Wunschträume, obwohl Weihnachten dicht vor der Tür steht. Dort in Trossenfurt werde ich übrigens immer sehr nett und herzlich aufgenommen, und solltest Du mal Gelegenheit haben, hier runter zu kommen, dann würden wir uns dort treffen. Es ist sogar ein Zimmerchen für uns vorbereitet. Aber das alles liegt wohl noch in weiter Ferne. –
Dass mein Vati gestorben ist, weißt Du wohl schon. Nun braucht er wenigstens diese Zeit nicht mehr zu erleben und für Mutti müssen halt die drei Kinder sorgen. Durch die langen Kriegsjahre ist man ja doch etwas von daheim entfremdet und so traf mich die Nachricht nicht allzu schwer. Weißt Du noch, was er mir an meinem, nein, unserem Verlobungstage sagte? „Vergiss nie, dass Du ein Kurtte bist!“, und die Erfüllung dieses Satzes soll mein schönstes Ziel sein. –
Mein liebstes, dieser Brief wird Dich vielleicht gerade zum Heiligen Abend erreichen. Und so wünsche ich Dir, Mutti, Vati und Janne ein recht, recht frohes Weihnachtsfest. Es wird vielleicht das ärmste, was wir je erlebt haben, aber trotzdem wollen wir den Kopf hoch halten. Dodi, mein Gedanken waren und sind immer bei Dir, und am Heiligen Abend ganz besonders.
Um mich brauchst Du Dir gar keine Sorgen zu machen, ich bin gesund und habe zu essen. Und das ist die Hauptsache. Und ich möchte Dich recht herzlich bitten, mein Lieb, schreib’ mir ganz genau und ungeschminkt wie es Dir geht und wo ich Dir helfen muss. Herzl, habt Ihr ein Radio dort? Braucht Ihr eins? Ich habe nämlich noch eins in Hamburg stehen! –
So, meine liebste, kleine Frau meinen Wunsch kennst Du: ein Lebenszeichen von Dir.
Bleib mir gesund und behalt mich lieb. Mit vielen, lieben Grüssen und zärtlichen Küssen bleibe ich
ewig Dein Wölfchen.

Viele herzliche Grüße auch an Mutti, Vati und Janne!
Wolf

 

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