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Brief (Transkript)

Christa G. aus Dresden an Gerda Z. nach Karlsruhe am 23.10.1983

 

Dresden, den 23.X.83

Liebe Frau Z.!
Ich habe ein sehr schlechtes Gewissen, daß ich Ihnen so lange nicht geschrieben habe. Wir freuten uns so sehr über Ihre wohl kontrollierte, aber sonst unveränderte Sendung mit den schönen Bildern, dem Prospekt von Ettlingen, den Fotokopien zum 250. Geburtstag und von Anholt. Man bekommt ordentlich Sehnsucht nach dorthin! Am wohlsten in meinem Leben habe ich mich an der Samlandküste gefühlt und bedaure es sehr, daß man nicht mehr dahin kann. Überhaupt ist es für einen gewöhnlichen Sterblichen, noch dazu Rentner, fast unmöglich, an die See zu kommen. Denn man müßte erst hinfahren und sich ein Quartier suchen. Ohne fahrbaren Untersatz geht das überhaupt nicht. So bleiben wir also im Lande und nähren uns redlich. Siskos Geburtstag habe ich wohl im Gedächtnis, aber es ging gerade in den Tagen vorher so turbulent bei uns zu, daß ich weder zum Schreiben noch zum Besorgen kam. Ich hole alles an Hilkes Geburtstag nach. Gedacht habe ich mit vielen guten Wünschen an sie. Ich war übrigens nicht krank außer einigen Migraenen, nur Anne und Jutta. Jutta versucht seit 3 Tagen etwas aufzustehen, leider meist noch mit negativem Erfolg. Da sie noch immer kaum etwas zu sich nimmt, wird sie wohl kaum die nötige Kraft gewinnen. Sie ist sehr dünn geworden. Aber es mußten noch 200 neue Erdbeeren gepflanzt werden! – Ich habe leider nur 1 Jahr Französisch gehabt und nie Gelegenheit, es zu hören oder zu sprechen. Ihre Kinder haben da einen großen Vorteil, daß sie das betreffende Land besuchen und die Sprache hören und sprechen können. Englisch kann ich allenfalls verstehen, aber zu sprechen würde mir der Mut fehlen. Ich hatte Latein als 3. Fremdsprache und konnte es gut in Ausbildung und Beruf gebrauchen. Daß Hilke sich zu so einem Frühaufsteher entwickelt hat! Meist geht doch in diesem Wachstumsalter der Schlaf vor allem anderen. – Vergangene Woche hatte ich Besuch von meiner Freundin aus Bad Saarow, die dort ein biol.-dyn. bewirtschaftetes Gut hat. Sie lebt dort mit ihren Zwillingen, die beide verheiratet sind (28 Jahre alt.) Katharina hat 2 Buben, Elisabeth 2 Buben und ein Mädchen. In den letzten Jahren haben sie mehr auf Gartenbau und Koniferenzucht umgestellt, weil die Landwirtschaft sich nicht so recht rentiert hat. Aber sie haben immer noch ungefähr 20 Kühe, viele Schweine, Schafe und 3 junge Hafflinger Pferde. Katharinas Mann arbeitet mit auf dem Hof, obwohl er eigentlich Zimmermann und Orgelbauer gelernt hat, Elisabeths Mann war ursprünglich Cellist, besucht aber jetzt das Priesterseminar der Chr.-G. in Leipzig. Meine Freundin ist ein sehr herzenswarmer, impulsiver Mensch, aber leider hatte sie eine Hüftoperation und einen Morbus Bechterew und ist ziemlich behindert, aber immer fröhlich und voller Ideen. Sie als Großmutter zu erleben ist herzerfrischend. Die Kinder bekommen alle paar Monate ein Päckchen von mir mit Süßigkeiten und kleinen Spielsachen: Luftballons, Windrädchen, Lampions oder dergleichen. Es muß alles ganz akkurat 5x dasselbe sein und es muß ein Bildchen mit dem Namen dabei sein. Vor Juttas schlimmer Erkrankung war ich 1 Tag mit Bekannten im Auto dort, wir brachten Honig und sogar eine schöne Mahlzeit Pilze mit nachhause. – Herr B. aus Dornach, Sprachgestalter und Schauspieler, war hier und sprach über die einzelnen Rollen im Oberuferer Spiel. Das wollte meine Freundin gern hören. Sie übt in Marienhöhe (so heißt der Hof) immer das Paradies- und Christgeburtsspiel ein. Sie spielen es im Kuhstall- Wenn irgend möglich will ich es mir bei ihnen dieses Jahr ansehen. Hoffentlich ist bis dahin Jutta wieder besser. Wenn es jetzt anfängt zu frieren, wird unser Peter in den Katzenhimmel gehen müssen. Es graut mir zwar entsetzlich davor, ihn in die Tierklinik bringen zu müssen, aber so etwas kommt ohnehin immer an mich. Nur ihn in Kälte und Schnee draußen lassen können wir (ihn) auch nicht nochmal. – Heute hat Anne die letzten Möhren, Tomaten und Äpfel geerntet im Garten. Die kleinen lila und gelben Chrysanthemen blühen wunderschön, sogar noch einzelne Rosen. – So, jetzt muß ich aufhören, ich schlafe immer ein zwischen den Sätzen. Daß Sie so nette Klassen haben, freut mich sehr. Es ist doch immer sehr interessant, so junge Menschen als Klasse und als Individualität zu erleben. So in der Masse sind sie mir meist etwas unheimlich, aber Sie werden sicher sehr gut damit fertig. –
Sie fragten, ob wir Haarwasser (haben wir richtig gelesen?) gebrauchen könnten. Ja, ich sehr gerne, Jutta benützt keins und Anne hat noch Rosmarin-Haarwasser.
Viele herzliche Grüße Ihnen allen von uns allen!
Ihre Christa G.

 

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