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Brief (Transkript)

Henson S. aus West-Berlin an Katrin S. nach Sebnitz am 29.05.1989

 

29. Mai 89

Liebe Katrin

Ich muß Dir mal wieder einen Brief schreiben, & zwar einen ernsten! Irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, eher eine Vater- denn eine Freund-Funktion zu haben. In Ungarn zeigte sich das dergestalt, daß Du mich Vorschläge machen ließest, um sie sodann heftigst zu kritisieren, ohne selbst viel vorzuschlagen oder zu riskieren, Dich mir gegenüber zu öffnen. Wenn ich an unser letztes gemeinsames Wochenende denke, hat sich nichts geändert. Alles, was wichtig war, haben wir am Samstagabend (auf dem Rückweg v. Gerd) besprochen – aber erst, als ich alles angesprochen hatte. Am Sonntag war ich davon so verbraucht, daß ich keine Lust hatte, schon wieder den aktiven Teil zu spielen. Es wären noch wichtige Dinge zu klären gewesen – ich wartete die ganze Zeit, ob Du `mal was ansprichst, was uns beide betrifft – aber es kam nichts! Was jetzt passiert, was jetzt ist mit uns, was wir tun, - aber nichts, es kam einfach nichts! Das einzige, was kam am Samstagabend war, daß Du Dir mittlerweile vorstellen könntest, mit mir zu leben. Aber es interessierte Dich nicht, ob ich mir vorstellen kann, mit Dir zu leben. Vorab die Antwort: Für mich gibt es auf Dauer keine Beziehung ohne Zärtlichkeit. Nur für die geistigen Werte brauche ich nicht die Konsequenzen einer Beziehung. Der Aufstand steht dann in keinem Aufwand zum Nutzen. Das soll keine betriebswirtschaftliche Analyse sein, doch man liebt nicht ins Leere! Haben wir eigentlich eine Beziehung? Noch? Wieder? Nein. Jedenfalls nicht im engeren Sinne. Nicht so, wie ich mir eine Beziehung vorstelle. Falls doch, kränkelt sie an den gleichen Ursachen, an denen sie letztes Jahr zu Ende ging. Vielleicht habe ich einige kurze Annäherungen überinterpretiert, doch habe ich vom letzten Mal gelernt, mir nichts mehr einzubilden, was nicht ist. Du brauchst Dir also keine Sorgen zu machen, daß ich völlig frustriert zuhause sitze und überlege warum Du Dich so & nicht anders verhältst. In meinem Bewußtsein ist momentan kein Verhältnis mit Dir, nur als „normale“ Freundin, ohne tieferen Herzensanspruch. Sonst wäre mehr Zärtlichkeit. Wenn Du keine Zärtlichkeit magst und keine geben magst (weil Dir das lästig ist), kann ich mir nicht vorstellen, mit Dir zu leben, auch nicht, Dich als meine Freundin zu haben. Ich konnte Dir in der Situation am Sonntag nicht übelnehmen, daß Du nicht mit mir schlafen wolltest. Das war mir von vornherein klar. Aber daß Du mir den Rücken zudrehtest & absolut nichts von mir wissen wolltest – alles war wie früher; vor dem Urlaub, im Urlaub, überhaupt. Es ist einfach so, basta. Ich weiß nicht warum – nichts. Weil Du Dir nur noch etwas platonisches wünschst? Weil Du Dich vor irgendetwas ekelst? Ich weiß es nicht. Ich glaubte zuerst, daß Du jetzt wüsstest, was Du willst. Offenbar aber doch noch nicht. Wie paßt das dann zu dem Wunsch, mit mir zusammenzuleben? Als Wohngemeinschaft wie mit Marion, das ist meine einzige Erklärung. Ohne menschlichen und sexuellen Anspruch. Eben als Vaterfigur. Katrin, ich hätte für alles Verständnis – wenn ich Dich verstehen könnte. Wenn Du mir sagen würdest, was Du willst & was nicht. Ich will nicht alles erfragen müssen, um dann – vielleicht – eine Antwort zu bekommen. Ich will nie wieder eine Beziehung mit Dir, die genauso abläuft wie die letzte. Durch Angeschwiegenwerden werde ich nicht klüger. Ob Du meine enorm schlechte Laune am Sonntag bemerkt hast, weiß ich nicht. Wenn ja, weißt Du jetzt wie es ist, wenn sich jemand andauernd ausschweigt. Aber dann hätte ich erwartet – ja gehofft, daß Du auch einmal fragst wie es mir geht. Ich konnte und wollte mich nicht schon wieder aufdrängen. Wenn Du es nicht gemerkt hast, dann armes Deutschland. Man kann über alles reden, nur muß man es auch tun. Ich will nur Klarheit, aber Du mußt auch von Dir aus etwas dazu beitragen. Wenn Du ein rein platonisches Verhältnis wünschst, akzeptiere ich das (aber dann ohne zusammenzuleben), aber dann werde Du Dir erst einmal klar darüber was Du willst und behalt nicht alles für Dich! Ich kann einiges an Belastung ertragen, aber auch nur gewisse Dauer, wenn das Ende absehbar ist.
Noch nie zuvor habe ich mir wegen einer Frau so lange und so viele Gedanken gemacht wie bei Dir. Dazu hast Du durch Deine beständige Schreiberei einen nicht unerheblichen Teil beigetragen. Daran siehst Du immerhin, welchen Wert Du mittlerweile für mich gewonnen hast. Doch mußt Du auch auf mich eingehen. Mich nicht in der Luft hängen lassen. Ausnutzen lassen will ich mich nämlich auch nicht! Es geht nicht alles, was Dich betrifft, spurlos an mir vorbei. Ganz im Gegenteil. Wenn Du aber selbst noch nicht genau weißt, was Du willst, und ich ständig nur dazu dienen soll, daß Du klarkommst, belastet mich das auf Dauer gesehen.
Momentan – mit dem Wissen daß nichts zwischen uns ist, bin ich jederzeit bereit, mich in (jemand anderes) zu verlieben. Gestern hab ich’s versucht, der Erfolg bleibt noch abzuwarten. Ich kann einfach nicht soviel Energie in Dich investieren, wenn es so wenig Feedback gibt. Du schreibst mir meistens später – viel später – wenn Du etwas gedacht hast. Dann erfahre ich zumindest die Hälfte Deiner Erlebnisse + Denkweisen. Warum nicht gleich? Vielleicht verlange ich zuviel, doch anders geht’s mit mir nicht, liebe Katrin.
Mal noch ein paar angenehme Sachen: Die Oper hat mir gefallen, es sind mir sogar Fotos gelungen. Detlof & Jakob gingen dann nach Hause, ich war mit Paloma noch einen trinken. Ein schöner Abend, diese Verbindung sollten wir uns warmhalten.
Gestern war ich im Botanischen Garten. Auch ein tolles Erlebnis. Hätte nie gedacht, daß ein Garten so interessant sein kann. Pflanzen aus der ganzen Welt auf engstem Raum. Immer ein Stück für eine bestimmte Region (Bsp. Kaukasus; China & Südostasien; Japan … oder auch „weltweit“ bei Löwenzahn.
So, nun verdaue erst einmal diesen Brief, ich hoffe doch, wir sehen uns bald wieder. Und diesmal umarme ich Dich ganz lieb und Kussi

Henson

Detlof D.
[Straße und Hausnummer]
Berlin

Paloma G.
[Straße und Hausnummer]
Berlin

 

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