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Brief (Transkript)

Marie Louise P. aus Zittau an Oskar H. nach Meckenheim am 24.10.1968

 

88 Zittau, den 24, Oktober 1968
[Straße und Hausnummer]

Liebe Frau Anneliese,
Gestern kam das schöne Paket an, mit so viel Liebe und Bedachtsamkeit zusammengestellt und gepackt, Wir beiden danken Ihnen [und Oskar] herzlich dafür. Ich habe auch soeben noch einmal ihren lieben Brief durchgelesen, und freue mich immer wieder, wie sehr die Söhne das sind und werden, was schon die Eltern erstrebt und auch erreicht haben. Es ist eine grosse Hilfe und mein Mann liebäugelt schon mit den kochfertigen Mittagessen. So etwas ist mir sehr lieb, denn die Vormittage sind jetzt zu kurz für alle. Das kommt daher, weil ich zu allem viel länger brauche, und so werde ich kaum mit allem fertig bis zum Essen., obwohl ich nach wie vor etwa 5.15 aufstehe, was mir manchmal, besonders im Winter, recht schwer wird. Und nun muss ich Ihnen leider von einer grossen Sorge erzählen, Die Vorgänge vom 21.8. sind Ihnen ja bekannt. Irgendwelche Kritik kann zur sofortigen Verhaftung führen. Die Schüler der Oberschule mussten in einem Sufstaz den Gebrauch der Waffen rechtfertigen. Mein jüngster Neffe, der sich auch nur für den Baudienst entschieden hat ( er weiss, daß dieses trotz der Zusagen in der Verfassung dies zu einer Diskriminierung führt) konnte das nicht mit seinem Gewissen vereinbaren. Er schrieb ( dem Konzept nach, das er uns vorlas,) recht geschickt, unter Anführung von Einstein, M.L. King und anderen. Trotzdem ist er nur knapp der Relegation entgangen, und soll eine fünf erhalten. Damit ist ihm ( da dies auf der Maturus-Zensur erscheinen wird), von fast allen Möglichkeiten ausgeschlossen. Er ist zur Zeit allein zu Haus. Seine Mutter musste wegen eines hartnäckigen Fussleidens einen Berliner Arzt aufsuchen. Er kämpft wie ein Löwe. Die ganze Sache wird noch dadurch erschwert, daß der Kampf gegen die Kirchen wieder mit voller Macht einsetzt. An sich ist ja die Ausübung der Pflichten, die aus Zugehörigkeit zu einer Kirche entstehen, zugesichert. Nun wird von allen jungen Menschen , die in der FDJ sind & und das sind, gezwungenermassen, etwas 90 %,) verlangt, daß sie keinem der Verbände der Kirchen angehören. Mein Neffe ist bei der Jungen Gemeinde, hat aber einen Freund, der Katholik ist, und der ihn, M. oft in die Vortragsabende dieser jungen Gruppe mit nimmt. Denn leider ist die Arbeit unserer Kirche seit dem Tode unseres Superintendenten recht im Argen, Einer der Pfarrer ist gestorben ( der sich zwar nicht so sehr um die Jugend aber sehr ausgiebig und erfolgreich für die Alten eingesetzt hat). Ein anderer ist, da er sich mit dem neuen Sup. nicht verstand, von hier fortgegangen. Ein dritter leidet zur Zeit sehr an Gallensteinen, und, da er das Alter bald erreicht hat, wird er bestimmt bald in den Ruhestand treten. Bleiben zwei Männer und eine Frau. Letztere, die Vikarin, ist ganz ausgezeichnet, aber sie kommt nicht durch. DieAlten bestimmen zu viel. Und ich glaube, man muss an den neuen Wein und die alten Schläuche denken; es gibt einige gute junge Kräfte, aber niemanden, der ihnen mal einen Rat gibt, oder sie gar unterstützt. Eine solche Verfolgung der Jugendlichen, unserer Kirche und auch der rm. Kath. und der kleineren Religionsgruppen, hätte unser alter Superintendent mit allen ihm zu Gebiete stehenden Mitteln bekämpft. Der neue gilt als guter Theologe, aber er ist kein Kämpfer. Theologen nutzen uns zur Zeit hier nicht viel, wir brauchen Menschen, die Mut habn und auch dann gerade stehen, wenn es sie etwas kostet, Ich freue mich, daß M dies zu tun scheint. Er muss nun noch vor einem Gremium seinen Standpunkt vertreten, - er gegen den Rektor ( der früher Tambourmajor bei der HJ war,) dem Schulrat, einen verhältnismäßig vernünftigen Menschen, dem FDJ Leiter und einigen Mitgliedern des Kollegiums. Da meine Schwester nicht hier sein kann, will mein ältester im Osten lebender Neffe Gottfried kommen, wenn er kann und sehen , was er erreichen kann. Ich kann es leider nicht tun, das bloße Tantentum läßt man nicht gelten. – Bitte entschuldigen Sie, daß ich Ihnen mit diesen Kleinigkeiten komme, aber ich weiss, daß Sie an dem Schicksal von vielen jungen Menschen hier Anteil nehmen, und ich meine auch, solche Dinge müßten im Westen so bekannt wie möglich werden. Judas von Thüringen, mit seinen Worten von der Freiheit für alle Christen, ist entweder ein Lügner oder vollständig unwissend. Vielleicht sind Sie tsilweise durch Ihre eigene Kirche informiert. (Wenn man gegen uns schärfer vorgeht, die wir ja keinen inter ationalen Schutz geniessen, als gegen die, die Rom doch noch hinter sich haben. ) Nochmals, recht vielen Dank, und denken Sie an uns und an den jungen Mann, 18 Jahre alt, der für sich und sein Leben und für andere sehr bewusst und tapfer kämpft. )
Love from your old
Marie P.

 

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