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Brief (Transkript)

Heinz Rahe an seine Ehefrau am 26.06.1941 (3.2002.0985)

 

26.6.1941



Meine liebe Ursula!

In Ermangelung eines Briefpapiers dies militärische Formular. Zunächst das Bulletin des heutigen Tages: Mir geht es gut.
Und nun eine Milieuschilderung: Eine Sandstraße, rechts mit bespannten Truppen besetzt, links eine Mot.-Kolonne, die ebenfalls nicht weiterkommt, da die Straße völlig verstopft ist. Ich sitze bei Inspektor Berndt im Wagen, der mich eine Stunde Weges mitnimmt. Wir befinden uns gerade in einem Hohlweg, rechts einige Häusertrümmer, die noch etwas rauchen. Es ist sehr heiß, ich habe den Kragen geöffnet, das Halstuch gelüftet, aber trotzdem ist es nicht viel besser. Schluß –
Jetzt sitze ich in einem anderen Wagen unter schattigen Obstbäumen. Auf der Straße rollt es vorbei, alles hat den Drang nach vorn. Wir sind nur wenige Kilometer von der Stadt L. entfernt, einer größeren Stadt, wie es scheint, obwohl ich früher ihren Namen noch nicht gehört habe. Sie lag neben mir zur Seite, mit typisch russischen Kuppeln und Kirchen, obwohl das Land ja erst seit 2 Jahren russisch ist.
Nun willst Du sicher etwas mehr von mir hören. Ganz in der Ferne hört man Geschützdonner, im übrigen beherrschen Staub und Hitze alles. Zuletzt schrieb ich Dir aus der Stadt Hr.. Gegen 20 Uhr fuhr ich vorgestern von dort ab mit meinem Solomelder und einer Tank-Kolonne, die ich eigentlich zu Adele bringen sollte. Kurz hinter der Stadt Hr hörte die Straße auf, es begann ein Knüppeldamm. Zur Seite standen Soldaten, die jedes Fahrzeug einwiesen und sofort den Weg wieder aufschütteten. Nach einigen Kilometern ging es eine Böschung hinab über einen schmalen Fluß auf einer provisorischen Holzbrücke. Am andern Ufer begann ein Sandweg, es kam ein kleines Wäldchen, Erhebungen mit Stacheldraht, ein totes Tier: Wir waren in Rußland. Nun begann ein tolles Fahren mit Überholen von Kolonnen, es war zum Glück helle Nacht; denn wir mußten ohne Licht fahren, nur in der Ferne war ein Feuerschein, ein brennendes Dorf. Unser Überholen gab oft Anlaß zum Schimpfen, bis wir schließlich vor einer schmalen Holzbrücke standen, wo alles stockte. Als ich gerade mit meinem LKW-Fahrer verhandle, ruft einer mich an: „Herr Leutnant!“. Er war eine treue Seele aus dem französischen Feldzug. Er erzählte auch von den Verlusten der Kompanie vor Sollum [?]. Bald ging es weiter, bis wir endgültig festsaßen. Das hatte den Vorteil, daß man für 2 – 3 Stunden die Augen schließen konnte.
Erst als es dämmrig wurde, ging es wieder. Die Wege blieben oft schlecht, doch da es etwas geregnet hatte, was es zunächst nicht so staubig. Vielfach ging es durch die Felder, da der Weg zu schlecht war. Die Häuser waren primitiv, aber nicht besonders dreckig. Am Vormittag stieß ich plötzlich auf den Grafen zu Münster, der meinen Auftrag nun änderte und mir freien Entschluß ließ. Die Wege wurden allmählich immer morastiger, wie Gummi gab der Autogrund nach unter den schweren Wagen. Des öfteren mußte der Weg erst gerichtet werden mit Spaten und Buschwerk, aber immer ging es vorwärts. Nach Mittag trat dann eine Verzögerung ein: eine kleine Holzbrücke war zusammengebrochen, nun mußte der neue Umgehungsweg erst fahrbar gemacht werden. So hatten wir eine Pause, die ich dazu benutzte, zunächst zu schlafen, dann mich zu rasieren und in einem kleinen Wässerlein, das von einer kühlen Quelle gespeist wurde, zu waschen. Sogar die Füße bekamen etwas ab. Das war eine unerhörte Wohltat. Einige Fahrer zogen sich sogar ganz aus und stiegen ins Wasser. Nach anderthalb Stunden ging's weiter über Morast und Felder und staubige Wege. Der Staub ist so fein wie Mehl, Du glaubst nicht, wie man aussieht. Unterwegs traf ich öfter Kradschützen, die [...] Polinka [?] waren. Sie erzählten von dem Angriff auf die Bunker, den Adele unternommen hat. Ein Mann ist bisher tödlich verunglückt! Du kannst Dir denken, wie oft meine Gedanken dort sind – und bei Dir! Als es dunkel wurde, kamen wir in das Städtchen L., Am Eingang brannten die Trümmer einiger Häuser. Die Bevölkerung war nicht geflohen. Auf einem kleinen Platz standen viele Soldaten und redeten eifrig auf einen Juden ein, der sich vor Lebensangst nicht zu helfen wußte. Flehentlich lag er am Boden. Er soll mitschuldig gewesen sein bei der Verstümmelung zweier deutscher Flieger, die notlanden mußten. Kurz darauf hörte ich einige Pistolenschüsse –. Die Nacht schlief ich im LKW sehr gut, morgens verausgabte ich meinen Sprit, dann ging ich mit Berndt auf die Reise. Mittags sahen wir, wie Fußsoldaten die Kornfelder und Gehöfte absuchten und flüchtige Soldaten aufscheuchten. Das gab ein lebhaftes Geknalle; denn diese Heckenschützen nahm man nicht gefangen. Statt dessen gingen die Gehöfte im Flammen auf, in denen man etliche fand. Ich selbst fuhr bald auf dem Krad weiter. An einer Stelle lagen zahlreiche tote Russen, sonst nur Staub und Sonne. Unterwegs traf ich dann auf den Grafen, der mich im Wagen mitnahm.
Jetzt ist es Nachmittag. Ob ich wohl nachher wieder nach hinten fahre? Es ist anzunehmen.
Mein Lieb, hoffentlich bekomme ich gute Post von Dir. Fettflecken und Dreck entschuldigst Du wohl? Wo magst Du stecken? Allmählich beginnt das Leben den ganzen Menschen zu erfassen. Demnächst (?) mehr, sofern ich Zeit habe. Ich grüße Dich von ganzem Herzen!

Dein Heinz

 

 



Ansicht des Briefes

 

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