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Brief (Transkript)

Werner Leendertz am 4.2.1940 (3.2002.7247)

 

4. Febr. 40



Mein Liebes,

Heute bekam ich Deinen Brief vom 31.1. Inzwischen sind Deine Fragen durch meinen vorigen Brief ja zufriedenstellend beantwortet, ich füge nun noch hinzu, daß sich in meinem Quartier alles noch zum Besseren entwickelt hat und ich diese erste Woche mich ganz gut eingelebt habe. Nur die Kälte überall! Dies verführt mich, die freien Stellen des Nachmittags im Café zu verbringen, und das ist teuer auf die lange Dauer. Heute bin ich UvD. und muß bis spät in die Nacht Wirtschaften kontrollieren. Das ist hier noch toller als in Südkirchen, denn es gibt deren schätzungsweise 25-30! Die Folgen machen sich natürlich auch wieder bemerkbar. Sie werden richtigerweise mit vielem und anstrengendem Dienst bekämpft. Eine Ueberraschung brachte die Feldpost mir heute: ein Paket von Tante Maria Schillings aus Heidelberg. Über die Tatsache sowie den Inhalt und ein beiliegendes liebes Schreiben war ich baß erstaunt. Ich werde sofort mich bedanken. Ebenfalls kam im Laufe der Woche ein Päckchen Deiner Mutter an, auch hochwillkommen; sogar eine Tafel Schoko war drin.
Daß Du den Thukydides behältst vorläufig, ist nicht schlimm. Ich habe an Fichtes Reden und dem herrlichen Nitzsche: Nutzen und Nachteil der Historie“ noch genug zu lesen. Letzteres Buch ist als Einleitung, bevor man historische Sachen liest, ungemein gut zu lesen und stärkte mich sehr in meiner Auffassung vom Nutzen solcher Lektüre, der nämlich sehr problematisch ist. Nur echte, nicht romanhafte, und große Lektüre soll man lesen hier; denn daß wir von den Dingen allein etwas erfahren, gibt uns keinen Gewinn. Wir müssen nur das Lesen, was wir wirklich uns einhauen können, nicht nur totes Wissen anbauen. Dies belastet und tötet, jenes belebt und erhebt uns zu Handlungen. Mit einem Worte Goethes fängt Nietzsche an: „Übrigens ist mir alles verhaßt, was mich bloß belehrt, ohne meine Tätigkeit zu vermehren oder unmittelbar zu beleben“ und so bestimmt und fordernd ist das ganze geschrieben, „Sättigt Eure Seelen an Plutarch und wagt es, an euch selbst zu glauben, indem ihr an seine Helden glaubt“, so Nietzsche. Ich glaube, manches liberalistische wird nur der Krieg noch austreiben und manches, was ich bisher als bloss sammlerhaftes anhäufen von Wissen betrieben habe, wird mir umschlagen in solche Bildungstätigkeit, die mehr formend mit mir selbst zusammenhängt. Hier liegt auch etwas von dem Grunde des Risses, der durch die Persönlichkeit meines Vaters geht, beschlossen. Es ist eine unzusammenhängende Stelle im Charakter fast eines jeden modernen Menschen. Ob man ihn für sich überwinden kann? Zurück zum Thema also bestätigt dies meine Klassifizierung der modernen vielgelesenen Biographien geschichtlicher Personen. Wenn schon Geschichte als Lektüre, so ist die beste grade gut genug und falsch gelesen immer noch ohne Gewinn. Plutarch (davon haben wir im Inselband den „Temistokles“) Thukydides, und ganz wenig neueres kommen nur in Frage.
Am 7. ist unser Verlobungstag. Ich mußte mich tatsächlich mit dem Ring überzeugen, daß es nun schon 3 Jahre her ist. Wie vieles hat uns die Zeit gebracht, und wie gänzlich verändert hat sie uns; und doch wie schnell ist sie uns vergangen. Wie stark ist doch das Herz und sein Mut und seine Stimme. – Doch ich bin in Versuchung, in Romanstil zu verfallen, und das wäre zu schade. Vielleicht finde ich ein anderesmal zu glücklicheren Umständen des Briefschreibens das richtige.

Dein Werner

(Wäsche wäre bald erwünscht)
Für Berthold liegen Schecks bei. Auf dem Bild bin ich nicht, fand es aber so typisch und wollte es Dir nicht vorenthalten.

 

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