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Brief (Transkript)

Werner Leendertz am 2.6.1940 (3.2002.7247)

 

Sonntag, 2. Juni 40



Mein Liebes,

wir warten auf weiteren Marschbefehl und so ist bei allem Vagabundieren endlich wieder eine Pause zum Schreiben entstanden. Wir werden immer nachgezogen in Gebiete, wo sich auflösende belgische und auch einige französische Truppenteile sind und haben deren Entwaffnung, Ordnung und Rückführung mehr zu besehen als in Gang zu bringen, wie eigentlich der Auftrag lautet. Sie fluten nämlich von selbst ins Hinterland zurück und haben meist ihre Waffen und ihr Material auf große Haufen geworfen oder an den Straßenrand. Autos, Kanonen, Waffen und viel Munition, Bekleidungstücke alles das bildet über Kilometer und Kilometer die Ränder der Straßen. Die Leute selber sind in sehr ungepflegtem, teils sogar ausgesprochen abgerissenen Zustand. Es ist toll zu sehen, wie die Ordnung mit der Moral und Zucht zusammenhängt. Die Leute freuen sich offenbar darauf, von uns ins Sammellager geführt und dort in einige Regel gebracht zu werden. Diese Aufgabe hatten wir vor einiger Zeit in dem vom Weltkrieg so sehr berühmten Raum von Passchendaele – Poelkappelle und Langemarck und im Wald von Houthoust – Namen die unseren Vätern sehr viel sagen. Viele Friedhöfe, kanadische, englische, belgische und nicht zuletzt viele viele deutsche liegen hier, meist schön gepflegt und mit tausenden von Krenzen ein schweres Mahnmal bildend. Ich war auf dem großen Ehrenfriedhof von Langemarck, wo allein 10 000 (!) Deutsche liegen, in würdiger und schöner Form – so viel wie der ganze Polenkrieg an Gefallenen verschlang. Über 3500 unbekannte darunter. Stellungen, Granattrichter und viele Betonklötze liegen noch vom vorigen Krieg in den vielen jetzt wieder angebauten Orten und Feldern. Alle Häuser in diesen Orten und alle Gehöfte sind neu nach dem Weltkrieg gebaut – und viele sind bereits wieder zerstört, wie z.B. Poelkappelle, das wieder schwer gelitten hat. Viele ältere Leute machen Flucht und Zerstörung zum zweiten Male durch – und so sehr alt braucht man gar nicht dazu zu sein.
In Ostende war ich bei all’ dem Vagabundieren auch schon; nur Brügge habe ich leider noch nicht gesehen. Übrigens war ich auch im Gebiet, wo zur Zeit Michallik und Henschel liegen, hatte aber keine Zeit nachzuforschen; sonst hätte ich Henschel jedenfalls mal zu begrüßen versucht. – Ich habe Uffz.-Löhnung beantragt, sind 150,- im Monat, die nach Abzug von Steuern etc. Dir überwiesen werden. Da wir meines Wissens kein PScheck haben, soll es überwiesen werden auf M+L-Kto bei der Deutschen Bank. Ich nehme bestimmt an, daß sie dort eins haben; sage bitte Herrn Berndt bescheid, damit er bei kommender Überweisung weiß, worum es sich handelt. Sollten sie kein Kto dort haben, so müßte es vorerst zu dem Zweck eingerichtet werden, da ich die Angaben nun mal so gemacht habe, und wenn sich erweisen würde, daß dies unzweckmäßig ist, so bitte ich um neue Angaben. Bar auszahlen oder per Bankscheck zahlen tuen sie nicht. Hörst Du nichts von Beckerings [?], so würde ich den Scheck allmählig einlösen und dies kurz mitteilen. Je weiter wir kommen, umso mehr nützt nun mein französisch, und sehnlichst erwarte ich das bestellte Dolmetscher-Buch, ich werde manchmal jetzt für solche Sachen gebraucht und die militärischen Fachausdrücke fehlen mir vollkommen,.
Wie es wohl Dir und Beatrix geht, denke ich immer öfter, je seltener Post kommt. Jetzt bin ich wieder seit 5 Tagen ohne alle Nachrichten und hoffe bloß, daß es Dir nicht auch so geht. Auch über die allgemeine Lage können wir uns gar kein Bild machen, und wo wir sind, ist außer der beschriebenen [...] der anderen nichts zu erfahren.
Und nun alles liebe und viele Grüße an beide Eltern.
Dein Werner

 

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