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Brief (Transkript)

Walther Wittenhagen an eine Brieffreundin am 02.05.1917 (3.2002.9087)

 

2 V. 17.



Liebes Frl. Pfaadt!
Eine Erkältung oder sonstige Unannehmlichkeiten, welche die jetzige Jahreszeit mit sich bringt, hat mich allerdings nicht gehindert, Sie so lange ohne Lebenszeichen von mir zu lassen, u. wenn ich Ihnen heute einen Grund dafür sagen soll, so bin ich unfähig dazu. Obgleich ich Zeit gehabt hätte, vergehen die Tage mir doch viel so schnell.
Verdammen Sie mich nun bitte nicht zu sehr, lassen Sie mal ausnahmsweise(!) Gnade vor Recht ergehen evtl. würde ich noch vor innerer Aufzehrung zu Grunde gehen u. in Rußlands Erde gebettet zu werden, würde mich selbst im Grabe keine Ruhe finden lassen.... und dazu noch jetzt, wo der Frieden vor der Türe steht!!
Hier im Osten ist schon seit Wochen eine direkt idyllische Ruhe, viel behaglicher also als z. Zt. im Westen. Meine alte Kompagnie, mit der ich noch in Verbindung stehe, ist wieder in der Gegend von Lens. Schöne Tage werden die Kameraden dort sicher nicht erleben u. wer weiß, wie\'s ihnen augenblicklich geht. Ich habe jedenfalls entschieden ruhiger u. nehme von Tag zu Tag an körperlichem Befinden u. Wohlbehagen zu. Die eingelegte Gruppenaufnahme wird Ihnen dies übrigens bestätigen.
Tatsächlich habe ich auf diesem Kriegsschauplatz noch keine Gewehrkugel sausen gehört oder etwa Projektiele krepieren sehen, u. trotzdem bin ich im „Krieg!“ Den Gedanken an „Kriegsandenken sammeln“ kann man gänzlich an die Wand nageln, kaum daß man hin u. wieder mal eine Photographie aus der „Etappe“ erhält. -
Nun will ich aber noch etwas auf Ihren Brief bezüglich Zeichnen von Kriegsanleihe erwidern, da bin ich mit Ihnen nicht derselben Meinung. Jeder weitere Zeichner von Kriegsanleihe verlängert den Krieg, das stimmt, bis Oktober wird die jetzige Anleihe wohl wieder reichen. Wenn nun niemand Anleihe gezeichnet hätte u. der Staat auch keine Zwangsmaßregeln ergreifen würde, in wenigen Wochen wäre der Krieg zu Ende d. h. wir hätten wohl noch Menschen, aber keine Munition, kein Material u. Soldaten ohne Löhnung. Aus diesen Gründen schon müßten wir nachgeben. Wie sieht\'s aber mit der anderen Seite aus? Glauben Sie etwa, daß wenn in Deutschland niemand Anleihe zeichnet, dasselbe auch in Frankreich u. England der Fall ist? Ich glaube eher das Gegenteil; gerade dann würde man mit Macht darauf drücken uns schnell zu erledigen.
Wie es dann aber in dem zukünftigen Frieden würde ….. so wie vor dem Kriege wohl niemals wieder.
Anders wäre es ja, wenn auf der gegnerischen Seite ebenfalls niemand Geld für Kriegszwecke hergibt, dann wär\'s aber noch viel einfacher, wenn sämtliche Soldaten einfach sagen würden: „Wir machen nicht mehr mit!“ Das würde den Krieg noch eher beenden als alles andere. So einfach wie das alles klingt, in der Praxis dies aber auszuführen ist wohl undenkbar. Also – die übliche Propaganda – zeichnet Kriegsanleihe!
Hoffentlich war\'s die letzte! -
Herzliche Grüße nun
Ihr Walter Wittenhagen




 

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