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Brief (Transkript)

Küngolt R. aus Worpswede an Wendelgard R. nach Halle/Saale am 19.06.1954

 

Worpswede, den 19.6.54.

Liebe Wendelgard!
Für Deinen lieben Brief hab recht herzlichen Dank. Den Gedanken, Muttis Kreuz so zu machen, finde ich sehr fein. Aber ist das nicht sehr beschwerlich zu transportieren? Ich schicke Euch die Zeichnung hier wieder zurück, weil Ihr sie sicher noch braucht. So ein einfaches schlichtes, schlankes Holzkreuz ist wirklich am allerschönsten. Da müßte dann noch eine rote Trauerrose zu, oder wie ist da die Bepflanzung? Was nun die Einladungen zu Euch angeht, so ist es mir ganz genau so ergangen. Auf alle meine Einladungen sind Absagen gekommen. Soll also scheinbar nicht so sein. Auch die Leverkusener hatte ich eingeladen, vergeblich. Aber ich kann es verstehen, sie haben sich jetzt erst mal in die Kurve zu legen, um die Möbel, die für die Wohnung notwendig waren, abzubezahlen. Und das darf nicht zu lange dauern, sonst sind die Zinsen für so aufgenommenes Geld einfach unsinnig hoch. Es tut ihnen auch arg leid, daß sie Euch dies Jahr nicht aufnehmen können, Euch haben sie’s sicher schon längst geschrieben, und Ihr wißt, daß es wirklich so gemeint ist, denn sie haben viel zu gern mal Gesellschaft. Ich kann mir denken, daß das arg quer in Eure Pläne kommt. Hoffentlich läßt sich doch alles erledigen, was Ihr Euch vorgenommen hattet.
Ich habe nun endgültigen Bescheid, daß vom 15.-25.8. ein Zimmer für uns frei ist im Schwarzwald. Ich freu mich drauf, denn ich brauch die Ruhe dringend. Obertal ist nur ein kleines Nest, von Wald umgeben, in dem einem stundenlang kein Mensch begegnet. Das ist das Richtige. Was danach kommt, weiß ich noch nicht, denn ich trage mich mit dem Gedanken, mich von hier abzusetzen und hoffe auch, daß mir das gelingt. Augenblicklich sind B.s nicht da, so konnte ich noch nicht mit ihnen darüber reden. Ich möchte mich gern wieder in Richtung Stuttgart bewegen. Das wäre also das Neuste. Leid tut es mir einzig und allein wegen Frau I., weil die immer so nett zu mir ist. Das ist der immer gleichbleibende Lichtblick hier.
Heute morgen wurde ich rübergeholt in die Weberei, um einer Schulklasse – höhere Schule aus Lüneburg, nette Mädels und sehr nette Lehrerinnen – die Weberei zu zeigen und ein bischen vorzuweben. Sie waren interessiert dabei und fragten so nett. Man ist dann ein ganz anderer Mensch, wenn man solchen Menschen etwas und in aller Ruhe und so, wie man selbst es denkt, erklären kann. Es war zu nett.
Ansonsten haben wir im Betrieb nicht allzuviel zu tun. Einige, d.h. leider gerade ein paar vernünftige Gesellinnen, sind krank, einige haben Urlaub. Dazu B.s nicht da, eine himmlische Ruhe. Nächste Woche wollen mich H.s. mal besuchen. Darauf freue ich mich sehr. Die sind auch arg auf der Wohnungssuche, und es ist arg schwer, etwas zu finden, wenn man nicht das Geld hat zu bauen oder zu kaufen.
Ist meine Patentochter inzwischen wieder geheilt? Habt Ihr noch mal neue Bildchen von ihr, bzw. von beiden? Hier habt Ihr ein Konterfei von mir, nicht sehr reizvoll, in Nordwohlde gemacht. Auf dem anderen sind die beiden H. zu sehen, im Hintergrund – das wird Gerhard interessieren – das Haus, in dem sie das Obergeschoß bewohnen. Sie sollen da raus, weil die Hausbesitzer den Platz brauchen. Von außen sieht es ja ganz schön aus, aber von innen ist es kolossal verbaut.
Sag mal, Du bist doch hoffentlich nicht krank, daß Du die blutbildende Medizin einnehmen mußt?
Heute ist der bisher heißeste Tag. Ob das Päckchen aus Backnang schon angekommen ist? In dem Spielhöschen möchte ich das kleine Persönchen ja mal zu gern sehen. Für mich war heute große Wäsche, aber sie war schneller trocken als gewaschen. Wenn ich Lust hätte, könnte ich noch bügeln, aber ich muß noch ins Dorf und hab dann bestimmt keine mehr. Du kennst ja die Entfernungen. Außerdem mußte ich nach dem Waschen putzen, und das reicht. Wenn die Dinge sich hier entwickelt haben, kriegt ihr Nachricht.
Für heute recht herzliche Grüße Euch allen
von Deiner Küngolt.

 

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