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Brief (Transkript)

Volkmar S. aus Pirna an Bodo S. nach Hamburg am 30.12.1953

 

P i r n a , den 30.Dez.1953

L i e b e r B o d o !

Dein freundliches Weihnachtspäckchen hat mich sehr überrascht. Ich danke Dir und Deiner Mutter dafür sehr.
Datteln und Feigen sind nach wie vor längst entwöhnte Leckerbissen. Schokolade bekommt man hier zum Preis von 6 … 8 DM. Wenn wir von unseren Schweizer Verwandten eine Tafel bekommen, müssen wir 6 DM Zoll zahlen. Westdeutschland wird zum Glück noch nicht als zollbegrenztes Ausland angesehen. Hoffen wir, daß es nie so weit kommt !
Es soll in den Wochen vor Weihnachten in einigen Orten Bananen gegeben Haben. Apfelsinen habe ich selbst liegen sehen. Leider hatte mein Vater vor dem Fest rechte Finanzsorgen, die uns zwangen, unsere Ausgaben auf das Mindeste zu beschränken. Wir hielten uns an Äpfel.
Ich freue mich, das Buch von Stefan Zweig nun als Eigentum zu besitzen. Mein Vater hat es im Bücherschrank und ich habe es vor zwei Jahren voller Interesse gelesen. Ein ungewöhnliches Leben. Der Mann hat verstanden, mit den Menschen zu spielen, er war selbst ein guter Schauspieler. Unwillkürlich erinnert man sich des Ausspruchs Octavianus Augustus bei dessen Tod: „Scheint es euch, daß ich das Theaterstück des Lebens nett gespielt ?“

Am 3. Feiertag war ich zum traditionellen Oberschulvergnügen und habe mit manchem Erinnerungen austauschen können. Seit langer Zeit war Hansi (Hans B.) wieder einmal im Land. Er ist mit seinem Studium genau so weit wie Du. Während der Ferien konnte er in der Privatpraxis eines Rechtsanwalts in Frankfurt arbeiten. Heiner ist mit seiner neuen Wirkungsstätte sehr zufrieden. Ich bin nur neugierig, ob er seine Freundin (seit 46) noch fünf Jahre warten lassen will.
Die meisten unserer ehemaligen Klassenkameraden sind doch noch zum Studium zugelassen worden. Einige haben sich nach Westdeutschland abgesetzt. Christian E. hat, gleich mir, während der Ferien eine Radfahrt durch das Rheintal gemacht. Er ist an der TH in Dresden und will Chemiker werden. Gerhard S. (Copitz) hat schon Familie und fristet als Lehrer auf einem Dorf bei Pirna sein Leben. Die beiden Arztsöhne Jochen B. und Christian R. studieren in Greifswald.
Wahrscheinlich sind Dir diese Namen kein Begriff mehr. Zu viel ist in den vergangenen Jahren auch auf Dich eingeströmt.

Du berichtest mir ja Schreckliches aus Deiner Cuxhavener Bekanntschaft. Das wäre eine Ausbeute für unsere Zeitungen. Man würde damit den verderblichen Einfluß der amerikanischen Schundliteratur beweisen.

 

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