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Brief (Transkript)

Gerhard D. aus Brandenburg/Havel an Bruno W. nach Bochum am 27.02.1989

 

Brandenburg, den 27.2.89

Liebe Rosemarie lieber Bruno!

In der vorigen Woche ist Euer Paket hier angekommen. Ich habe mit diesem Brief noch etwas gewartet, weil ja Pakete von Euch teilweise mit einem zusätzlichen Brief flankiert werden. Nun diesmal war das nicht so und nun möchte ich mich bei Euch herzlich bedanken für die Auswahl, die Ihr getroffen habt. Ich nehme an, daß Rosemarie den Pullover ausgesucht hat. Sie hat wirklich eine glückliche Hand gehabt. Er sitzt wie nach Maß gemacht und steht mir auch. Auf den ersten Blick war Ilse wegen der Farbe etwas skeptisch, aber sie hat sich sehr schnell korrigiert. Auch von anderer Seite ist ein uneingeschränktes Lob geäußert worden. Also herzlichen Dank. Auch für alles Übrige gilt dieser Dank. An diesem Wochenende waren meine Schwägerin und mein Schwager aus Magdeburg zu Besuch. Da hat die Flasche Martini den Frauen gute Dienste geleistet. Ich weiß zwar nicht, wer von Euch auf die Idee gekommen ist, einen neuen Rasierapparat mit hinein zu legen. Die Idee war aber sehr gut. Auf diese Weise habe ich endlich einen Ersatzapparat erhalten. Mir ist doch schon passiert, daß ich meinen Apparat in Magdeburg bei Stefan gelassen habe, so daß mir am anderen Tag in Brandenburg nur übrig blieb eine Ersatzklinge zwischen zwei Finger zu nehmen, um auf diese Weise die Stoppeln los zu werden. Es ging zwar, war aber recht zeitaufwendig. Diese Sorge habe ich nun nicht mehr. Auch wenn ich dies nicht ganz mit klugen Worten beschreiben kann, Ihr könnt sicher sein, daß Ihr mir eine Freude bereitet habt. Familiär geht hier alles seinen Gang. Carsten war zufällig auch an diesem Wochenende zu einem Kurzurlaub hier, um wieder etwas „Frust“ abzuladen. Henry ist jetzt öfter bei uns als sonst, zumal er sich hier eine Freundin ausgesucht hat. Wie lange solche „Wochenendlieben“ halten bleibt abzuwarten. Wenn er wirklich studieren sollte wird dieses Verhältnis mit Sicherheit in die Brüche gehen.
Thorsten ist nach wie vor mit der Nachfolgerin von Ines liiert, obwohl bei den beiden sehr oft Krieg und Liebe dicht beieinander liegen. Ganz gleich wie dieses Verhältnis ausgehen wird, es hat eins bewirkt, nämlich daß unser Thorsten nun endlich ernst macht und sich um einen Meisterkursus bemüht. Ob der Betrieb ihn ab September dazu delegieren wird, bleibt abzuwarten. Zumindestens besucht er jetzt einen Vorbereitungskurs, um sich auf den eigentlichen Meisterlehrgang vorzubereiten. Vielleicht klappt es!
Lieber Bruno, ich habe neulich meine Unterlagen durchgesehen, aber nach meiner Buchführung müßtest Du den KB-Brief mit der Marke besitzen. Sowie diese wieder bei mir ist, kann die nächste Sendung von hier abgeschickt werden.
Im Augenblick gibt es ja interessante politische Entwicklungen, die zu beschreiben viele Seiten umfassen würden. Zu einigen im Telegramstil meine Meinung.
Die größte Schweinerei ist die Morddrohung des Khomeini. Hier bin ich der gleichen Auffassung, die ein westdeutscher Schriftsteller geäußert hat, nämlich, daß Hitler nicht einmal es gewagt hat gegen emigrierte Schriftsteller auf diese Weise vorzugehen. Hier bedaure ich außerordentlich, daß der Westen nicht schärfer gegen solche aggressive Ideologie vorgeht. Ebenso schlimm ist, daß diese Kameltreiber die westliche Freiheit dazu nutzen um für die Entscheidung dieses Verbrechers zu demonstrieren, wie das heute in New York und anderen großen Städten geschehen ist.
Einen ähnlichen Zorn haben bei mir die Äußerungen einer Irene Runge bei der Talk-Show von Lea Rosch aus Berlin hervorgerufen, die da sagt bzw. behauptet, dass es bei uns kein Wohnraummangel gibt. Es ist für mich einfach unmöglich, daß solche Leute unwidersprochen ihre rosarot gefärbte Meinung, die ohne Kenntnis der Verhältnisse an der Basis ist, über einen westdeutschen Sender äußern können. Dagegen hebt sich die Meinung von Gauß geradezu wohltuend ab.
Zu dieser Frage habe ich zu meiner großen Überraschung, die gleiche Auffassung wie sie Helmut Schmidt in einem Interview anläßlich seines 70.Geburtstages geäußert hat, das ebenfalls durch das Fernsehen ausgestrahlt wurde.
Dieses Gespräch, das er in dem besagten Interview mit einem Reporter (Namen habe ich vergessen) geführt hat, enthielt für mich auch eine sehr logische und plausible Erklärung, warum sich unsere Regierungsspitzen und ZK-Leute so schwer tun, die neue Politik von Gorbatschow zu übernehmen. Hier spielt nicht nur das persönliche Alter und das bisher erreichte eine Rolle sondern auch die Überlegung, was dann, wenn diese Umgestaltung scheitert? Diese Skepsis ist nach meiner Auffassung durchaus berechtigt. Dennoch bin ich sicher, daß in 5 bis 9 Jahren die Situation hier bei uns völlig anders aussehen wird. Unsere Kinder werden und da bin ich zur Zeit ganz sicher noch die Möglichkeit haben eine Reise von Basel nach Köln antreten können, wenn sie das Geld dazu verdienen und da liegt der „Haken“. Die Veränderungen in Ungarn deuten dies ja schon an und die DDR wird auch nicht umhinkommen wirtschaftliche Dinge von Fachleuten entscheidenzulassen und nicht von ideologisch verklemmten Politikern. Es wird zwar schwer werden eine marode, schwerfällige vergammelte Wirtschaft wieder flott zu machen, aber es muß gelingen.
Doch nun wieder zurück zu persönlichen Dingen, wie geht es Dir liebe Rosemarie, hast Du Dein Rheuma im Griff oder nehmen die Beschwerden zu. Ich will es nicht hoffen, sondern wünsche Dir Besserung oder wenigstens Stagnation des Übels.
Über unseren Stefan wissen wir, daß Euer Stephan ausgezogen ist. Eine Entscheidung, die ein ganz normaler Lauf ist. Wie kommt Ihr nun mit diesem Phänomen zu recht? Werdet Ihr Euer Haus aufgeben?
Wir haben ja ähnliche Probleme. Noch heute Mittag saßen 6 Personen am Tisch, dann reisten zuerst die Magdeburger ab, der nächste war Henry und zum Schluß ging Carsten. Während ab Sonnabend unsere Wohnung gerade groß genug war, damit man sich auch einmal aus dem „Wege gehen“ kann bzw. in Ruhe sein Mittagsschlaf halten kann, ist es jetzt ganz ruhig um uns beiden. Trotzdem wollen wir, wenn es klappt die Wohnung etwa noch für die nächsten 5 Jahre behalten, es sei denn es geht zufällig ein besonders günstiges Angebot, aber da ist kaum mit zu rechnen.
Für heute will es genug sein. Viele herzliche Grüße aus Brandenburg senden Euch
Euer
Gerhard und Ilse

 

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