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Brief (Transkript)

Familie F. aus Salzkotten an Familie H. nach Leipzig am 28.05.1981

 

Oberntudorf, den 28.5.1981

Liebe Frau H., lieber Herr H.!

Meine Frau hatte Ihnen in einem ihrer letzten Briefe geschrieben, daß es durchaus nicht Schreibfaulheit von mir ist, daß ich an Sie nichts zu Papier bringe. Ich bin ja durch meine Kriegsverletzung ohnehin beim Schreiben schon stark an die Schreibmaschine gebunden. Meine Hieroglyphen, die beim schnellen Schreiben leicht unleserlich werden, möchte ich Ihnen doch nicht zumuten. Meine berufliche Arbeit ist aber der Hauptgrund, weswegen ich z.Zt. kaum zum privaten Briefverkehr komme. Die berufliche Belastung geht ja zum Jahresende Gott sei Dank zu Ende. Mein Nachfolger ist schon gewählt, aber die restlichen Monate unterliegen noch einer starken Belastung. Das Berufsbild eines Forstmannes, vor allem, was meine Arbeit betrifft, ist für Außenstehende schwer verständlich. Das Spektrum ist eben zu groß. Grade die wirtschaftliche Seite, wir leben ja in einem „kapitalistischen“ Staate, ist für mich zweitweise erdrückend. Ich erhoffe mir von meiner Zurruhesetzung vor allem eine seelische Erleichterung. Meine frühere Lesewut habe ich fast gänzlich eingebüßt. Über das Lesen von Fachliteratur und zwei Tageszeitungen komme ich selten hinaus. Auf meinem Nachtisch liegen immer ein bis zwei Bücher, die ich oft nur anfange aber selten beende.
Sie werden sich vielleicht erinnern, daß ich ein ausgesprochen großes Geschichtsinteresse schon seit meiner Schulzeit hatte und mich vor allen Dingen auf Vor- und Frühgeschichte und Mittelalter spezialisiert hatte. Die meisten der neuerworbenen Werke stehen, einer späteren Zeit vorbehalten, in der Bücherwand. Mein literarisches Interesse wendet sich manchmal der älteren Lyrik und dem mein Leben sehr beeinflussenden Knut Hamsun zu.
Sie werden sich vielleicht auch erinnern, daß ich Ihnen sagte, daß ich das Gespräch nicht unbedingt suche. Das ist nicht meine Veranlagung, ich habe als junger Mensch gern lange Gespräche mit Anderen geführt. Durch meine starke nervliche Belastung durch den Beruf und auch das Fehlen von geeigneten Gesprächspartnern bin ich doch etwas davon abgekommen. Die meisten Menschen sind durch das übersteigerte Interesse am Wohlstand nur noch zu oberflächlichen Betrachtungen fähig. Daß mein geistiges Interesse dennoch nicht erloschen ist geht daraus hervor, daß ich nachts über UKW (WDR III) den Sender höre, der nur klassische Musik und Vorträge aller Geistesgebiete in einer Form bringt, von denen man sagen kann, daß sie über den Dingen stehen. Zu Vorträgen in Paderborn komme ich z.Zt. nicht mehr. Die Wintervorträge des Altertumsvereins, die ich sonst regelmäßig besuchte, habe ich diesen Winter ausgelassen. Ich erhoffe mir von meinem Ruhestand ein beschaulicheres Leben mit viel Lesen und Studienfahrten. Ich werde mich dann auch wieder mit Teilgebieten beschäftigen, die schon weit über ein Jahrzehnt in den Hintergrund gedrängt worden sind, z.B. das Großgebiet der mittelalterlichen Prosa und Epik. Reiseziele für mich wären die Stauferburgen im Süden und im Elsaß. Auch ist eine Baltikum – Nordlandfahrt geplant, da ich der Hanse ein großes Interesse entgegenbringe. Diese Themen werden von mir hier nur angerissen. Planungen sind ja sehr schön. Ob sie zur Durchführung kommen, ist eine andere Sache. Ich würde mit Theodor Fontane sagen: „Dies ist ein weites Feld.“
Wir werden immer mit Ihnen in Verbindung bleiben. Vielleicht läßt sich im Rahmen einer Leipziger Messe ein Besuch bei Ihnen wieder ermöglichen. Das ganze Deutschland wird wohl zu meinen Lebzeiten nicht verwirklicht werden können.

Es grüßt Sie alle sehr herzlich
Ihr Hermann F.

Liebe Anne-Marie, wir danken Dir schön, daß Du uns so ein hübsches Bild gemalt hast. Dein Onkel F. und Deine Tante F. Grüß bitte Dein Brüderchen ganz lieb von uns.

 

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