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Brief (Transkript)

Heinz Rahe an seine Ehefrau am 21.01.1943 (3.2002.0985)

 

A., den 21.1.1943



Meine liebe Ursula!

Ist die Welt ein Narrenhaus geworden? Fast könnte man es meinen. Wir befinden uns in einer Stadt, in der etliche Häuser, Fabriken und Gebäude brennen. Große Werte werden da vernichtet. Als wir hier einige Mann meiner Kompanie trafen, brachten sie große Kästen mit Taschenlampen, Batterien und dergleichen heran. Alles ist verschleudert worden, der Rest fällt der Vernichtung anheim. Unter den Leuten befand sich Fritsch, der meine Sachen in Verwaltung hatte. Eine Flasche Likör, Plätzchen, Dosen mit Fleisch, Massen an Wurst, Schmalz und dergleichen, größtenteils Beute, befanden sich darunter. Ein bißchen Benzin genügte, um alles anzubrennen und zu vernichten. Heute früh kam eine Volksdeutsche in mein Quartier, heulend, sie würde jetzt erschossen werden, weil sie Deutsche sei. Ein Urlauber, der mir von Burchardts ein Päckchen mitbrachte, ließ es im Zuge liegen. Eine tolle Welt! Es scheint alles so sinnlos geworden, und beschämend ist, wie sehr der Mensch sich an sein bißchen Leben klammert und angstschlotternd es zu retten sucht, ohne daß es bedroht wäre! Schade, daß man gehemmt ist, offen zu sprechen. Ich fahre jetzt zum Troß und bin gespannt, was ich dort erleben werde. Sicherlich viel menschliches Versagen! Gerade in unseren Tagen vermißt man so oft bei den rückwärtigen Diensten eine männliche Haltung und überlegene Ruhe. Wo bleibt da die menschliche Würde? Oder gibt es dergleichen nicht? Vorbild konnte darin wohl Oberst von Racjek sein, der ja nun leider nicht mehr bei uns ist. Er kannte klare Befehle und war selbst nicht feige. Wenn ich nun zum Troß fahre, so kommt es daher, daß meine Kompanie heute früh aufgelöst wurde aus taktischen Gründen. Das ist eine vorübergehende Maßnahme, bedingt durch unsere Lage. Ich selbst bin daher zum Troß in Marsch gesetzt, um als Regiments-Gepäcktroßführer oder dergleichen zu fungieren. Eine seltsame Situation, obwohl Du Dich sicher wieder freuen wirst. Ich halte es allerdings für möglich, daß dort ein Offizier dringend benötigt wird, um dort einer gewiß vorhandenen Nervosität entgegenzutreten. Es menschelt dort sehr! Alles dreht sich um das bißchen Leben! Eigenartige Welt! Nicht nervös ist man zum Glück dort, wo man Grund dazu hätte: bei der kämpfenden Truppe. Das ist ein Lichtblick in unserem Dasein.

23.1.1943
Meine geliebte Ursula!
Soeben erhielt ich Deine Nachricht, daß unser Peter gefallen ist. Wie gern wäre ich da bei Dir, um Dir in dieser Zeit zur Seite zu stehen! Du hast ganz recht, ich habe nicht nur einen Schwager verloren, sondern einen Freund, der mir in letzter Zeit wohl am nächsten stand. Ich habe gerade an Lisel geschrieben, der neben unseren Eltern der Tod doch wohl am schwersten wird. Möge Gott es geben, daß sie sich in dieser jetzt oft recht wunderlichen Welt zurechtfindet, denn man hat doch wohl den Eindruck, die ganze Welt sei aus den Fugen gegangen und der Teufel triumphiere überall. Unser Leid und unsere schweren Schläge verstehe ich zugleich aber auch als eine Strafe Gottes. Was Du von Klepper schriebst, läßt mir das recht deutlich werden. Aber nicht nur an fremde Sünden wollen wir denken. Einmal sind wir als Glieder des Ganzen mitschuldig und verdienen solchen Zorn, außerdem aber haben wir Christen Gottes Zorn in weit höherem Maße verdient. Du schriebst kürzlich, Du könntest es nicht verstehen, daß bei mir Weihnachten nur aus Essen und Trinken bestehen solle, wo ich doch einen Gottesdienst halten könne! Daß ich selbst in äußerste Gleichgültigkeit versinke, schrieb ich Dir als mir bewußte Gefahr schon öfter. Wem galt denn in den letzten Tagen meine Sorge? Meinem Koffer, den ich vermisse, in dem sich Briefpapier, Filme, Pistole, Hemden und viele andere Habseligkeiten, gewiß alles kostbare Dinge, befinden. Immer wieder kreisten meine Gedanken darum. Durch Deine Nachricht wurde mir plötzlich die Nichtigkeit auch all dieser Dinge bewußt.
Mir kam der Gedanke: „Wenn Du nun plötzlich vor Deinen Herrn hättest treten müssen!“ Ich hatte wohl mein griechisches Testament in dem Koffer, doch die Mühe, es zur Hand zu nehmen, machte ich mir nie! So reißt Peters Tod mich vielleicht aus dem geistlichen Tode heraus. Wir können Peter vielleicht einen Frühvollendeten nennen. Ich hoffe bei Gott, daß es innerlich so um ihn bestellt war. Wenn ja, dürfen wir dann viel um ihn klagen? Dann hat er doch die Probe dieses Lebens bestanden. Wenn sein Lebenswerk auch kaum begonnen war, so war sein Lebensziel vielleicht doch schon erreicht, das wir alle irgendwann nach Gottes Willen erreichen sollen. Möge Gott nur geben, daß wir es ernst machen mit dem "Herr, lehre uns bedenken, daß wir sterben müssen, auf daß wir klug werden!" Ich las vorhin den 121. Psalm, mit dem dies schwere Jahr begann, sodann den 90. und den 73. Psalm.
Möchte Gott uns doch tiefer in die rechte Glaubenshaltung führen! Sie ist ja nicht nur eine ernste, sondern zugleich auch eine fröhliche. Gerade der Gedanke an Peter läßt mich das bewußt werden. Was mich zu ihm so besonders hinzog, war doch gerade auch seine fröhliche, weltoffene Haltung. Ich denke da an die Doppelhochzeit, auf der wir beide noch in später Stunde zusammen saßen und pokulierten. Ebenso aber auch das herzliche Verhältnis zwischen Dir und dem Bruder, das durch so manches humorvolle Wort eine beispiellose Herzlichkeit hatte. Der Gedanke an mein zweites Zuhause, das Eilbecktal, das mir immer mehr zum rechten Elternhause geworden ist, bleibt unlösbar verbunden mit dem Gedenken unseres Peters, sei es, daß wir beide uns als Verlobte in sein Zimmer zurückziehen durften, sei es, daß ich in seiner Behausung so manche schöne Stunde auch mit ihm verlebte, oder der Gedanke an seine Wohnung, die wir im letzten Urlaub bewohnen durften. Überall lebt der Gedanke an Peter und bleibt für mich so lebendig mit dem Eilbecktal verbunden. Darum kann ich verstehen, wie tieftraurig Ihr oft sein müßt, die Ihr nun ständig bei Euch auf Peters Spuren stoßt und an den Verlust gemahnt werdet. Aber wir wollen das Eine nicht vergessen: in den Vordergrund gehört bei uns Christen immer der Dank! So wollen wir auch an unseren Peter denken, voll Dank für das Glück, das Gott uns durch ihn zuteil werden ließ. Möge unser himmlischer Vater geben, daß dieser Dank bei Euch den Schmerz lindere und überwiege! Dann werden wir auch am besten unserem Peter gerecht und bleiben ihm über den Tod hinaus verbunden. Vielleicht können wir persönlich dies Gedenken äußerlich dadurch zum Ausdruck bringen, daß wir, sofern Gott uns einen Sohn schenken sollte, ihn Johann Peter nennen. Das Amt der Patenschaft, das wir einmal unserem Peter zugedacht haben, wird Jochen dann gewiß gern übernehmen. Johann Peter Rahe mag dann uns stets daran erinnern, was uns unser Carl Peter Hahn gewesen ist. Wenn Ihr in Sorge darum seid, daß Peters Leiche noch nicht geborgen oder vielleicht in Feindeshand gefallen ist, so wollen als Christen wir uns dessen bewußt bleiben, daß nicht die irdische Hülle, der heute soviel Anbetung und Ehre zuteil wird, das Höchste ist, sondern die Gewißheit der Auferstehung, die Christus uns verheißen hat. Ich sah gestern, wie man so viele Soldatengräber einebnete, um sie nicht in Feindeshand fallen zu lassen. So bringt der Krieg jetzt so manche seltsame Maßnahme, die aber gerade uns Christen doch nicht allzu tief beeindrucken sollte. Das besorgen die Heiden zur Genüge, die als Einziges ja nur den toten Leib behalten!
Mein Lieb, sag bitte den Eltern, wie sehr ich mit meinen Gedanken und meinem Schmerz bei Euch bin! Den Eltern zu schreiben, dazu komme ich nicht.
Augenblicklich geht nur Luftpost ab. Sie muß in ? Std. schon weg, da der Flugplatz verlegt wird. Vielleicht bekommst Du lange keine Post von mir. Einfache Feldpost geht gar nicht fort. Ich bin seit gestern bei unserem Troß, Regimentstroßführer ! Dir ist das wohl eine Beruhigung. Ich bin fast 100 km der kämpfenden Truppe voraus, also weit vom Schuß!
Nicht unruhig werden! Ich denke an Dich, meine geliebte Frau, in herzlichem Mit-Leid und weiß mich Dir durch unsere herzliche Liebe in Treue verbunden, gerade angesichts des über uns gekommenen Leides und der schweren Stunde, der Du entgegen gehst. Gott helfe Dir und uns allen.
In Liebe gedenkt Deiner stets
Dein Heinz.

 

 



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