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Brief (Transkript)

Hans an Eugen im August 1942 (3.2002.0211)

 

Vor dem Birkenkreuz war der Altar errichtet, der neben Blumen, Birkenreisern und Kerzen, einem kleinen Kreuze keinen anderen Schmuck trug als eine sehr alte ganz dunkle und vielfach zerstörte Ikone. Ich kann sie nicht entsprechend beschreiben, so muß einen dieses Bild packen, auf dem nichts sichtbar war als eine lehrende Hand und das Gesicht des Herrn. Haupt und Hand! Und im Dunkel wie nebensächlich eben erkennbar der Leib. Sonst nur zerstörte Stellen, an denen der Malgrund bräunlichrot im Holz sichtbar wurde. Dies Bild hatte weder Rahmen noch Metall [...] es war ganz arm und stand da angelehnt an das Birkenholz. Ich sah im übrigen Raum noch sehr viele und herrliche Ikonen mit Gold und Silber und Stein umkleidet. Diese eine war grundverschieden von allen und auch aus alter viel hellerer Zeit, wo der Glaube noch mit Blut und Schwert vergleichbar war. Unser Pfarrer wußte wohl, welch einen Schatz er da hob und wem er die Ehre des Altares gab. Der Gottesdienst begann. Links und auf der Epistelseite waren uralte Plastiken aufgestllt, fast nur Kreuze und der Herr immer ohne Arme, damit man diese Heiligtümer vor dem Zugriff der Roten besser bewahren konnte. Die Bevölkerung hatte alles herbeigebracht und zudem Blumen und kostbare Tücher, viel Wachs und sehr wohlriechende Flüssigkeiten. Heute wird das Evangelium von der Austreibung der Händler aus dem Haus Gottes verlesen und auch wie der Herr über ‘seine Stadt’ weint. In der Predigt wußte der Priester die ganz nahen Beziehungen zu diesem Raum und die Entsprechungen gut zu nutzen, die in den Evangelien aufgezeichnet waren. ‘Ihr aber habt es zu einer Räuberhöhle gemacht.’ Es war wohl keiner unter den Landsern, der nicht auch aufmerkte bei den Worten: ‘Ach, wenn du doch erkenntest, und zwar in diesen deinen Tagen, was dir zum Frieden dient.’ Es bedurfte keiner Erläuterung in der russischen Kirche unter weinenden Männern und Frauen. Du weißt, wie wir es hassen, wenn so Polenwweiber ihre Tränendrüsen leeren - man muß gewiß unterscheiden. einer, der neben mir stand, sagte, ich solle mal auf zwei alte Russen achten, die sich auf die Lippen bissen, um nicht zu weinen. Auch Frauen und viele Kinder konnten die Tränen nicht zurückhalten. Sie fielen lang zur Erde, wie es in diesem Lande Sitte ist, und während jede Übertreibung den Landserspott wach ruft, was echt und gut ist, so wußte hier doch jeder, was jedem Russen nach 24jährigem Entbehren dieser schlichte Wehrmachtsgottesdienst bedeutete. Die Gegenwart Gottes war zur Wandlung wohl bewußt gewesen und das Angerührtsein von oben empfand ich noch nie so, und andere sagten mir das Gleiche. Man vergaß alle Vokabeln, um von dem Unsäglichen zu sprechen. Da drängten sich Kinder an den Priester und brachten ihm Brot und Kerzen und Blumen. Zwei alte Frauen trugen Ikonen herbei und stellten sie vor dem Altare auf, als der Priester das Vaterunser sprach. Es waren kaum Soldaten, die nicht an der Kommunion teilnahmen. Die Russen, nicht unseres Glaubensbekenntnisses und unserer Liturgie, sahen zu und ihr Benehmen war untadelig und ehrfürchtig. Bei uns aus dem Westen äußert sich so vieles im Gesang und auch dieses Singen drang über die Düna hinweg. Bei den östlichen Völkern herrscht die Ruhe, das Gesammeltsein vor, sie lieben die Nähe des Heiligen, gar die Berühring, ohne die Ehrfurcht zu verletzen. Sie hielten sich ruhig, bis der Gottesdienst dem Ende zuging, dann aber drängte sich alles an den Altar. Es war eine beängstigende Fülle in dem verschandelten Raume. Ich drängte mich zum Ausgang und gelangte durch einen Sakristeiraum ins Chor der Kirche. So konnte ich die gewaltige Prozession der Russen gut beobachten. Sie beugten sich vor dem Bilde und küßten die schöne strenge Ikone. Mütter drückten ihre Kinder an das Bild, es wurde fast in Blumen und Lichtern unsichtbar. Greise kamen mit wallenden Bärten, alte und sehr junge Frauen in bunten Überwürfen und hellen, kostbar bestickten Kopftüchern, Männer in dem russischen Nationalgewand und der weißseidenen Kordel, junge Kerle, denen man die Zeit der Bolschewikenherrschaft ansah, Knaben mit hellen Hemden und Mädchen mit Blumensträußen und gelb-grünen Wachskerzen. Es war anders als an unseren Wallfahrtsorten, viel spontaner ging alles vor sich und eine echte Inbrunst hatte die fromme innerliche Menge ergriffen, die ihre tränenfeuchten Augen nicht von der Heilandsikone abwandten und sich noch im Fortgehen (es drängte immer nach) umsahen und verbeugten. Ein solches Bild ist noch nie vor unsere Augen gekommen und man konnte in etwa ermessen, was es heißen muß, Gott nicht mehr vor dem Angesichte des Volkes dienen zu dürfen. Wenn nicht alles täuscht, was augenblicklich chez nous vorgeht, ist dieser Besuch und dieses Erlebnis eine eindringliche Vorbereitung für uns. Was müßte dieses Bild eine Warnung sein. wenn Du doch hier wärest!! Man kann mit kaum einem sprechen und verlernt es überhaupt, sich zu äußern. Das Schreiben ist meine Sache nicht - der Wittiko ist oft recht herb. Und beim Sonnenuntergang, wenn das ganz schöne Rußland, das tagsüber manchmal direkt nichtssagend sein kann, lebhaft wird, singen sie hier sentimentale Lieder. Wie die Leute zu dem Abend stehen und ihn feiern, danach schätze ich sie ein. Die Sonne selbst zeigt sich hier im ‘Orient’ noch schöner als damals in Elbing, als uns die Scherenschnittbäume vor dem glühenden Himmel entzückten und die Sonne wie ein Lampion brannte. - Ich sah gestern Bilder vom zerstörten Dom in den Zeitungen. Es ist ihm doch allerlei geschehen. Der Erbdrostenhof sei ganz zerstört und ein Teil des Schlosses, heißt es. Somit kommt kaum Nachricht aus der Heimat und auch Onkel Louis schrieb lange nicht. Ich sollte Dich von Adolf grüßen. Zum Beschluß ein herzliches [...]
Rußland am 9. Sonntag nach Pfingsten [1942]
Dein Hans

 

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