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Brief (Transkript)

Hans Reinhold Thiel an seine Freundin am 08.10.1948 (3.2002.0875)

 

Berlin, den 8. X. 1948.



Mein liebes Hannerle!

Heute früh, gerade als ich aufgestanden war, kam der Postbote und brachte Deine Paketkarte. Im Laufe des Vormittags habe ich erst mal meiner Mutter geholfen in unserer Abstellkammer, dem früheren Mädchenzimmer Ordnung zu schaffen. Mein altes Fahrrad habe ich auseinandergenommen und aufgehangen u.s.w. – Kurz vor dem Mittagessen bin ich dann zum Paketpostamt Bln. – Mitte gefahren und habe Dein Paket abgeholt.
Also, mein lb. Hannerle, hab vielen herzlichen Dank für die wunderbaren Sachen, von dem Mehl backt Mutter morgen einen Kuchen, den sie heute schon anrührt. Mein Muttchen hat sich über alles sehr gefreut und bedauert, daß Du nicht dabei bist, wenn wir morgen zum Kaffee den Kuchen anschneiden.
Vorgestern kam ich vom Verwandtschaftsbesuch aus Elsterwerda zurück. Auch das kl. Städtchen hat noch in den letzten Kriegstagen sehr gelitten. Alles klagt und hofft, daß endlich eine Besserung eintreten möge.
Lb. Hannerle, die wenigen Tage des großzügig „gewährten Urlaubs“ reichen garnicht, um mich überall wieder vorzustellen und daß Hans Theil noch lebt. Du kannst Dir ja vorstellen, wie sie alle erstaunt sind, daß ich noch immer nicht die Schn ... vom Soldatspielen voll habe und jetzt bei der Ostpolizei bin. Ja, mein lb. Hannerle, wenn es nach mir ginge oder gegangen wäre! Aber ich sage mir, Hauptsache erst in Deutschland. –
Mein Freund Heinz kam bereits vor 2 Jahren nach Hause. Er kam abgerissen und krank nach Hause und fand seine elterliche Wohnung ausgebombt vor, nachdem er sich noch mit seinem Vater überworfen hatte, lebte er für sich und hat sich im vorigen Jahr im August verheiratet. Er hat bestimmt schwere Zeiten hinter sich, heute ist er jedoch über den Berg. Ähnlich geht es einem anderen Freund, der 1945 gleich nach Beendigung der Kämpfe hier in Bln. sich auf Friedensbetrieb eingestellt hat, sein Ingenieurexamen gemacht hat und Ende 45 heiratete und heute schon ein 2jähriges Mädelchen hat. – Mein Freund Rolf Reymann, den Du sicher auch noch von Deinem letzten Besuch kennen wirst. Im Juli 1944 war er vermißt gemeldet worden ist auch schon 2 Jahre hier. Ende vorige Woche war er mit seiner angehenden Braut, ein nettes Mädel aus seinem Büro bei uns. – Das sind die hauptsächlichen persönlichen Veränderungen meiner Freunde. Sie alle sind wirklich daheim, in erster Linie freie Menschen und haben mit ihren beruflichen Aufgaben ein Ziel vor Augen. Wieviel Stunden habe ich bisher schon über meine neuen „Aufgaben“ gegrübelt, Pläne geschmiedet, wie ich es anstelle, daß u.s.w. ... , kurz gesagt ich bin unzufrieden, ich werde einfach den Gedanken nicht los, ehrlich gesagt, ich werde nie richtig froh. Ich sitze zu Hause und verkümmere langsam, wie eine Priemel ohne Wasser. Von der einen Seite höre ich: „Lb. Hans, für Dich gibt es nur eins, entweder den Laden mitmachen oder auf und davon über die „Luftbrücke“. – Ich habe mich jetzt jedoch entschieden erst mal bei der neuen Firma gezwungenermaßen anzufangen und abzuwarten. Bis zum neuen Jahr wird sich dann alles entscheiden. Lb. Hannerle, bitte schreibe mir, was Deine lb. Eltern zu meinem „Berufswechsel“ gesagt haben? Das Schlimmste ist, daß wir uns nach vierjähriger Trennung noch nicht wiedersehen können. Ach, ich hatte mir alles viel anders vorgestellt.
Mein lb. Hannerle, ich möchte nun aufhören Dir weitere Klagelieder zu singen. Mach’ Dir bitte keine Sorgen, ich werde schon einen Ausweg finden. – Hab’ nochmals tausend Dank.
Viele herzliche Grüße an Deine lb. Muttel und Vati. Dich, mein Herzchen grüßt besonders verbunden mit tausend Küßen
Dein Hans.

 

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