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Brief (Transkript)

Ludwig Kerstiens an seine Eltern am 7.4.1943 (3.2002.0822)

 

O.U. 7.4.43



Liebe Eltern.

Eben komme ich aus der Messe wieder. Es ist ja selbstverständlich etwas selten so nach dem Dienst, mitten in der Woche einen Gottesdienst zu feiern und zur Osterkommunion zu gehen und von der schönen Feierlichkeit war wenig zu spüren. In dem Saal hat vor 10 Tagen ein großes Kriegsgericht stattgefunden, vor 8 Tagen wurde dort der eine zum Tode verurteilt und heute steigt Gott dorthin herab, um uns zu beglücken. Denn das innere Glück, das kann nicht gestört werden durch Äußerlichkeiten. Das Lätare! tönt durch alles hindurch, es übertönt die Tagessorgen und die große Not der Zeit. Sich trotzdem zu freuen, das ist es ja gerade, was uns die Frohbotschaft geschenkt. Man bekommt eben einen ganz andern Blick für alles, was um einen um geschieht. Und das ist viel, viel wert, denn ohne ihn muß der denkende Mensch doch oft verzweifeln.
Der Geistliche, aus einer von Dietl’s Divisionen, hat außer einer Anzahl von Küstenbatterien und ähnlichen selbständigen Einheiten 2 ganze Divisionen zu betreuen. Kommentar überflüssig. Man denkt sich auf jeden Fall viel dabei. Er trägt übrigens außer dem Rußlandorden das EK. - -
Von dem Brief an Frechsack wißt Ihr ja schon von meinem Tabakhandel. Sonst gibt es nichts Besonderes. In den letzten Tagen hatte ich zwar wieder Beschwerden wegen der Senkfüße. Es schmerzte am Knöchel und im Kniegelenk. Nun hat man mir heute Einlagen gegeben. Wenn es nicht besser wird, komm ich zur Behandlung nach Oslo. Aber es geht schon vorbei! Da bin ich nicht bange drum. – Schickt mir bitte bei Gelegenheit meine Badehose. Da wir ja nun motorisiert sind, kann ich die auch noch mitnehmen.
Nun wollte ich mich noch über etwas mit Euch unterhalten: Willi Hiß schickte mir eine Eckehart-Auswahl. Dieser Mystiker hat doch gerade heute in dieser Welt wieder höchsten Wert. Man könnte ihn fast neben Nietzsche setzen. Dieser will den Menschen veredeln zum Übermenschen, jener aber zeigte uns das göttliche Leben im Menschen. Wir sind nach Gottes Bild geschaffen, in der Taufe hat er uns von seinem Leben eingehaucht, und immer wieder kommt er sogar selbst zu uns. Wie versinkt da doch alles Übermenschentum. Mit Gott ist doch der Mensch viel herrlicher und größer als ohne ihn. Wir müssen nur uns Zeit nehmen, dies göttliche Leben in uns auszugraben, und uns immer unserer Würde bewußt sein. Wie vieles wäre dann besser in der Welt. Vor jedem Schritt müßte man sich fragen, ist er auch mit meiner Würde zu vereinbaren. Denn mir scheint die Gefahr größer, daß der Mensch absinkt als das er die Paradiessünde wiederholt. Die meisten wollen nicht mehr sein wie Gott, sondern ohne Gott. So scheint ihnen der Ehrgeiz, die höchsten Wesen zu sein, am einfachsten erfüllt zu werden. Aber wie erbärmlich sind sie dann gegen die Menschen im göttlichen Leben! Unter Gott ist eben Raum für soviel größere und höhere Wesen als den Übermenschen. – Vor diesen Gottesmenschen aber wird dann auch wieder vieles wichtig, was dem anderen Ziel und Existenzfragen ist. Wenn man auf dem Dach steht scheinen die Bäume immer noch hoch, aus dem Flugzeug bemerkt man sie kaum noch. Da bin ich schon wieder bei unserer veränderten Lebensschau, die uns Kraft und Mut gibt, immer und überall auszuharren, es komme, was da wolle.
Damit will ich heute schließen. Herzliche Grüße an alle, besonders unser Kränkchen

Euer Ludwig

 

 



Ansicht des Briefes

 

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