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Brief (Transkript)

Walter Neuser an seine Eltern am 15.3.1942 (3.2002.0947)

 

15.III.42



Liebe Eltern!

Ich habe Euch am 9. d. Mts. zum letzten Mal geschrieben. Am 10.III. gab es wieder Post. Diese Eingänge sind wieder auf der Karte vermerkt. Zum Schreiben bin ich in den letzten Tagen nicht gekommen. Die Nachtzeit hätte vielleicht auch zum Scheiben nicht mehr gereicht, denn der Kopf wollte nicht mehr mitmachen. Im Tagebuch steht über diesen Tagen „Arbeit und Sorgen“. Von morgens früh bis abends spät beschäftigen mich Küche und Verpflegung. Vom 5. - 8. d. Mts. befanden wir uns auf dem Marsch in den neuen Einsatz. Am 9. nachmittags erfolgte hierfür der Einsatzbefehl. Seitdem geht es rund! Drei Küchen wollen versetzt sein, dazu die eingesetzten Teile. Ein Teil wird hier verpflegt, der andere Teil liegt 4 km entfernt, wird ebenfalls tagtäglich von uns beliefert, während der 3. Teil 15 km entfernt von uns 3 Tagessätze erhält. Von Letzteren werden Teile fremder Einheiten mitverpflegt. Wer und wieviel das sind, weiß ich nicht. Auf jeden Fall mehr als ich überhaupt empfangen habe. Ich warte seit Tagen auf eine Aufstellung, aber der Mann da vorn ist stur. Dabei hat er seit 1939 1 ½ jährige Erfahrung. Da gibt es eben nur eins und das ist Geduld haben. Ich lege alles schriftlich nieder, rechne hin und rechne her, fertige eine Aufstellung nach der Anderen, verrechne mit anderen Einheiten und hoffe, daß diese gesamte Arbeit gekrönt ist mit Anerkennung und Nachempfang, denn wovon soll der Schornstein rauchen bei 3/5 Minderempfang gegenüber der zur Zeit zur versorgenden Stärke. Auf jeden Fall ist nehmen besser als geben! Unvorstellbare Schwierigkeiten bereitet uns der Wind. Ich habe meine Filme ausgepackt. Das muß festgehalten werden. Die Schneeverwehungen sind zur Zeit der ärgste Feind. Der Russe leidet unter der Kälte genau so wie wir. Vielleicht noch mehr, denn wenn es zu kalt war selbst im landesüblichen Pelz, kroch er auf den Ofen. Als Soldat kann er sich diesen Luxus nicht leisten. Als Kesselflicker und Treiber wohlbekannt versorgen unsere Kameraden hier vorn ihren harten, entsagungsvollen Dienst und jagen den Russen aus einem Dorf nach dem Anderen. Für die Infanterie ist das sehr schwer, aber es sind deutsche Soldaten. Der Russe ist zähe, das weiß jeder; aber an uns reicht er nicht heran. Heute früh wurde ein Kessel als erledigt gemeldet. Seit mittag arbeiten sie am Nächsten. Verpflegung, Munition und die notwendigsten Sachen nach vorne bringen ist keine Kleinigkeit. So manches Pferd bekommt hier den letzten Rest. Wege und Spuren sind über Nacht verschwunden. Räderfahrzeuge können nicht verwandt werden. Alles geht per Schlitten. Oftmals kommen auch diese zurück. Dann müssen Leute eingesetzt werden. Ich halte auf jeden Fall das Dorf hier in seiner jetzigen Verfassung in Bildern fest. Zum Glück hat man eingesehen, daß Schnee schippen keinen Zweck hat. Der Wind treibt doch wieder alles Geräumte voll und zu. Das ist dann umso gefährlicher. Lebensgefährlich für den, der in dieses lose Zeug hineinstolpert. Gestern abend haben wir von ½ 10 - 11 Uhr zu 15 Mann gewirkt, um 2 Pferde aus dem Schnee zu bekommen. Sie waren auf eine Art Schneewächte in der Dunkelheit geraten, als der Fahrer gegen 9 Uhr den Ort erreichte, dabei eingebrochen und lagen nun im Geschirr verhakt übereinander. Der Fahrer alarmierte die nächsten beiden Häuser sofort, wir packten uns anständig ein, und dann ging es hinaus in den Mängabend. Die Pferde haben wir dann erst mal freigeschaufelt, vom Geschirr befreit soweit dieses möglich war und anständig durchgemöbelt, als sie nicht mitmachen wollten. Na ja, die waren ja schon halb klammgefroren.
Nach ungefähr 1 ½ stündiger Arbeit hatten wir sie endlich wieder auf ihren vier Beinen zu stehen. Das war ein Glanzstück. Bis wir uns dann wieder zur Ruhe begeben konnten, war es inzwischen ½ 1 Uhr geworden. Am 12. abends stieg beim Spieß ein kleiner Uffz.-Abend der hier verbliebenen Korporäle. Seit langer Zeit gab es mal wieder einen guten Tropfen Schnaps. Natürlich ist man nichts mehr gewöhnt; verlangt wird ja auch allerhand, und das dicke und erlösende Ende ließ ja dann auch nicht lange auf sich warten! Türmen tun ist ja so leicht nicht, aber zufrieden war ich doch, als man um 11 Uhr Feierabend gebot. Am nächsten Tag plagte ich mich mit Kopfschmerzen. Die sind nun aber schon wieder weg. Heute ist Heldengedenktag. Vor 4 Jahren stand ich vor der Staatsoper als RAD-Mann. Der Tag verging hier wie jeder andere Tag. Das hat mich sehr gewundert. Wir verloren gestern wieder einen akt. Wm. Einer nach dem Anderen geht von uns; es ist ein Elend. Aber wir müssen uns immer wieder vor Augen halten, ohne Kampf kein Sieg, ohne Opfer kein Erfolg. Ich bin zur Zeit noch wohlauf. Das Rheuma hat sich gegeben. Mich sieht man nur noch im Pelz. Ich habe kein Interesse mir hier Rheumatismus zu holen. Die Zähne bereiten mir viel Sorge. Damit bin ich nun auch bei der Post angelangt. Die beiden Päckchen # 8 + 9 sind da. Durch sie bin ich in den Besitz vieler Kostbarkeiten gelangt. Das Fläschchen mit den Körnchen „Hexasulfur“ gegen Zahnschmerzen ist schwer in Ordnung. Die Leibbinde ist prima, aber ein Läusefänger. Das krabbelt und juckt, einfach unbeschreiblich. Diesen Mistviehchern ewige Rache schwören habe ich schon mehrere Male gemacht, aber die scheinen sich da wenig draus zu machen. Der Brief v. 24.XI. berichtet, daß Max Schaweg aus Minsk gekommen war. Inzwischen wird er ja nun schon wieder hier gelandet sein. V.d.Marwitz sucht mich; das ist gut. Vielleicht verschafft mir der Zufall mal die Ehre. Eine Aufstellung sende ich wieder mit. Es kommt schon alles an. Man muß nur Geduld haben. 14 Briefe liegen hier, die beantwortet sein wollen. Bestellt mal Ostergrüße für mich mit, ich komme doch nicht zum Schreiben. Vor einigen Tagen fiel mir ein Brief in die Hände, an den Gefr. Ernst Jung, Adresse Elisabeth Neuser, Weidenau-Sieg, Mittelstr. 9. Eine Namensvetterin mehr. Wenn ich mal etwas mehr Zeit habe, schreibe ich der mal einen Gruß. Übrigens meinen besten Dank für alles und nun Schluß für heute. Die herzlichsten Ostergrüße sendet Euch,

Euer Walter.

 

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