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Brief (Transkript)

Hans-Karl Schmidt an seine Eltern, am 20.8.1944 (3.2002.0251)

 

Im Osten, 20.8.44.



Liebe Eltern!

Jetzt müßt Ihr wieder einmal so lange auf Post warten. Es ist so schade, daß nicht regelmäßig etwas fortgeschickt werden kann. 3 Briefe liegen nun schon wieder versandbereit. –
Wir haben einen Stellungswechsel in eine kleine Stadt gemacht. Sie ist durch Bomben, Artilleriefeuer und Brand sehr mitgenommen. Es war auch ein sehr heißer Kampf, bis die Russen endlich aus der Stadt herausgedrängt waren. 4 Panzer haben unsere Sturmgeschütze abgeschossen. Die Treffer liegen alle hinten, ein Zeichen, daß sie beim Rückzug erwischt worden sind. – Gestern lagen wir in einem Dorf. Zur Hälfte war es schon abgebrannt und die letzten noch stehenden Häuser dienten als Deckung für die Wagen. Bei jedem Einsatz der Tiefflieger aber fing ein Haus bestimmt Feuer und zündete auf einige andere dann über. Die Strohkathen und Holzhäuser brennen wie Zunder weg. Man konnte sich richtig ausrechnen, wann die nächsten Häuser an der Reihe waren. Dann brach die Nacht bald an und es wurde ruhiger. -
Ich schlafe jede Nacht draußen. Es wird schon neblig. Es schadet aber nicht. Durch die dicken Decken dringt keine Kälte durch und im Sonnenschein ist alles bald wieder trocken. Es ist auch so schön, vorm Einschlafen noch einmal in die Sterne zu schauen. Es wird einem dann so feierlich zu Mute. Man denkt unwillkürlich an die Heimat, und gestern habe ich an Norgaardholz gedacht. Dort war es abends an der See auch so schön kühl nach der Hitze des Tages. Und wenn wir dann am Strand spazieren gingen, bis die Sonne ganz verschwunden war und die ersten Sterne auftauchten, dann hatte ich das gleiche Gefühl wie gestern abend: ich war so wohlig müde und hatte doch noch keine Lust, mich schlafen zu legen, weil der Abend zu schön dafür war. - In dieser Beziehung läßt der Osten auch romantische Stimmungen aufkommen, am Tage wirkt er aber so fremd. Genau so ist diese kleine Stadt. Ihr könnt es Euch vielleicht schlecht vorstellen, wenn ich es Euch beschreibe. -
Eine deutsche Stadt kündet sich dem von auswärtskommenden durch Siedlungshäuser und Schrebergärten, später durch weit auseinandergebaute Einfamilienhäuser an. Jede Stadt ist dann noch mit Bäumen und Grünflächen geschmückt. Hier aber sieht man von Ferne schon 3stöckige Wohnhäuser, gelb oder weiß, die beim näherkommen auch nicht an Schönheit gewinnen. Auf den Landstraßen kann der Staub wenigstens wegwehen. In der Stadt aber nicht. Man sinkt manchmal in den Pulverstaub richtig ein. - Und die Häuser sind alle gleich, ob sie aus Lehm, Stein oder Holz bestehen. Sie haben die gleiche dreckige Farbe, die gleich dreckigen Höfe und die Menschen sehen am Sonntag nur sauberer aus. Um hier eine Wandlung zu schaffen, müßten völlig andersgeartete Menschen das Land bewohnen. - So plötzlich, wie die Grenzen zwischen Stadt und Land, sind sie wohl sonst nirgendwo. Ich kann es wohl verstehen, daß die Besiedelung des Ostens so schwer ist. In Posen und Westpreußen, wo ein gewisser Teil der Bevölkerung rein deutsch ist, geht es noch. Aber im Generalgouvernement kann für Deutschland, so lange es dort nicht mit eigenen Bauern arbeitet, nur Ausbeutungsland sein. Das haben wir bisher ja auch getan. Es ist nur schade, daß durch den Vorstoß des Russen die Ernte für uns verloren ging. Es stand alles so wundervoll auf dem Halm und nun ist das Erntewetter auch so gut. Augenblicklich geht bei uns Deutschen ja alles schief. -
Es ist so manches komisch auf der Welt. Ihr sorgt Euch um mich, weil ich in der Gefahr bin. Und mir macht diese Gefahr garnichts aus. Nun braucht Ihr nicht glauben, daß ich leichtsinnig bin. Das ist schon gleich nach den ersten Schlachtfliegerangriffen und Artillerieschüssen vergangen. Ich weiß aber jetzt genau, der Schuß geht woanders hin, weil er eben so pfeift und der Schuß geht in die Nähe, weil er so pfeift. Das zu unterscheiden lernt man schneller als man glaubt. Und weil ich nun schon etwas Erfahrung habe, regt mich ein bißchen Geschieße garnicht mehr auf. Man muß aber die Gewißheit haben, daß ausreichende Deckung vorhanden ist. Sonst ist es auch schlecht bestellt. Da nun aber gesicherte Fronten sind, können in Ruhe gesicherte Deckungslöcher ausgehoben werden. Es ist sonderbar, daß ein Mensch in der Erde sich am sichersten fühlt.
1800. Ich habe wundervoll auf dem Sofa in der Apothekerswohnung geschlafen. Es ist ein ganz anderes Gefühl, wenn man schön weich schläft. Ungewohnt ist es aber auch. - Die Artillerieduelle brechen nicht ab. Hoffentlich geht dem Russen bald die Luft aus.
Ich grüße Euch herzlich Euer an Herz u. Leib gesunder
Hanskarl.

 

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