Nach Zeitraum suchen

von 
bis 
SUCHE ZEITRAUM
Bestandskatalog PDF

Brief (Transkript)

Gerhard Kunde an seine Mutter am 24./25. 06 1940 (3.2002.0864)

 

Feldpost-Nr. 02710 B

O.U., den 24.6. 40.



Liebe Mutter!

Heute komme ich endlich dazu, wieder einmal ausführlich an Euch Frauensleute zu schreiben, und da ich so unheimlich viel zu berichten habe, greife ich wieder einmal zu diesem Marterinstrument von Schreibmaschine.
Am vergangenen Mittwoch war es, wo wir eigentlich zufällig zu dem Bauauftrag hier in der "lle de France" kamen. Ohne einen Befehl unserer Abt., die noch garkeine Mitteilung davon erhalten hatte, fuhr der ganze Postverein am nächsten Tage in Richtung Paris los, zum nicht geringen Ärger der Leutchen von der Abt., die nämlich immer noch in Ch. sitzen. Ich weiss nicht, ob ich schon einmal geschrieben habe, dass die ganzen Postbaugruppen jetzt zu einer Abt. zusammengefasst sind, unter der Leitung eines Oberinsp. (hier Sonderführer K). Mit diesem habe ich die Fahrt gemacht, und zwar sind wir, anders als die Kolonne, über Compiègne gefahren. Wir sind auch in den berühmten oder vielmehr berüchtigten Wald gekommen, aber das Erinnerungsdenkmal haben wir nicht gesehen, da dort schon die Vorbereitungen für die Waffenstillstandsverhandlungen getroffen wurden. Der Weg führte uns an einem Teil der aus dem Weltkrieg bekannten Schlachtfelder vorbei, wir sahen auch einen großen Soldatenfriedhof. Aber auch eine ganze Reihe frischer Gräber säumte den Strassenrand, erkenntlich an einem Holzkreuz mit dem Stahlhelm darüber, meist auch mit frischen Blumen geschmückt, und legten Zeugnis davon ab, dass dort vor nur wenigen Tagen Kämpfe stattgefunden hatten, Kämpfe, die unsere Truppen in einem nahezu unvorstellbaren Tempo vorwärts brachten. Von diesen Kämpfen aber zeugten auch die fast durchweg vollkommen zerstörten und völlig ausgestorbenen Ortschaften, die wir passierten. Das Bild dieser unzähligen in Schutt und Asche gelegten Hauser in Verbindung mit dem der Tausenden zurückflutender Flüchtlinge ist so erschütternd, dass man oft nicht weiss, ob in einem das Gefühl des Mitleids mit diesem geschlagenen Volk oder das des Zorns über die Gewissen- und Verantwortungslosigkeit ihrer ehemaligen Machthaber vorherrschen soll. Ununterbrochen wälzt sich der Strom der Flüchtlinge nach Paris zurück. Nicht wiederzugeben ist das Elend und der Jammer den uns auf Schritt und Tritt begegnete. Und trotzdem war das ganze auch wieder irgendwie interessant und sehenswert, ja ab und zu sogar romantisch oder malerisch zu nennen. Ich habe niemals gewusst, dass es so mannigfache Beförderungsmöglichkeiten gibt: Last- und Personenkraftwagen, darunter Modelle, die eher ins Museeum als auf die Landstrasse gehören, grosse zweiraedrige Leiterwagen mit einem oder mehreren Pferden oder Eseln bespannt oder von Treckern gezogen, Dogcarts, Eselskarren, vierräderige Wagen, Schubkarren und Kinderwagen und darauf nun die möglichsten und unmöglichsten Sachen geladen, von denen man glaubte, dass sie irgendeinen materiellen oder ideellen Wert haben. 2 Millionen Pariser und angeblich 10 Millionen Franzosen überhaupt sind seit Tagen und Wochen so unterwegs. Wir haben aber nicht vergessen daran zu denken, dass dasselbe Schicksal uns geblüht hätte, wenn unsere Führung nicht so auf Draht gewesen wäre. Wir haben viele Franzosen gefragt, warum sie denn eigentlich geflüchtet waren, und die Antworten waren recht verschieden: In Paris war wohl teilweise die Evakuierung angeordnet, im übrigen ist wahrscheinlich unter dem Eindruck der deutschen Fliegerangriffe, auf militärische Ziele eine ausgesprochene Panik in der Stadt entstanden, und unter der Devise "rette sich wer kann" rafften Tausende ihre paar Habseligkeiten zusammen und wenn sie ein Fahrzeug nicht besassen, machten sie sich mit dem Fahrrrad oder zu Fuss auf den Weg nach dem Süden. Jetzt beginnt es in den Köpfen der Franzosen etwas zu dämmern, wie sehr sie von ihrer ehemaligen Regierung in die Irre geleitet und wie ungeheuer sie von der Presse belogen worden sind. Man war bis zuletzt allgemein fest davon überzeugt, dass wir den Krieg nicht gewinnen konnten, weil wir nichts zu essen hätten.

den 25. Juni 1940


Da gestern eine Möglichkeit zur Beförderung der Post nicht mehr bestand, habe ich mir den 2. Teil meines Briefes für heute aufgehoben. Ich will also versuchen, etwas von meinen Pariser Eindrücken und Erlebnissen zu erzählen. Bisher hatte ich Gelegenheit Paris 3 mal einen Besuch abzustatten, sodass ich kurioserweise dort schon besser Bescheid weiss, als hier in unserem Quartierort M. Dabei ist es garnicht so einfach nach Paris hereinzukommen, da der Kommandant der Stadt Truppen ohne besondere Genehmigung den Zutritt verboten hat und alle Zugangsstrassen durch Posten gesperrt hat. Trotzdem ist es uns bisher auf mehr oder weniger faule Art und Weise gelungen hereinzukommen. (Jetzt haben wir übrigens auch die Genehmigung) Besonders nett war die Sache das erste Mal. Nachdem man uns auf der Hauptzufahrtstrasse zurückgewiesen hatte, sagten wir uns, dass ebenso wie viele Wege nach Rom auch viele nach Paris führen, und versuchten auf Nebenstrassen in das Stadtinnere zu gelangen. Dabei haben wir uns trotz unserer Karte in dem verwirrten Strassennetz der „faubourgs“ restlos verfranst. „Das sind ja welche von der deutschen Wehrmacht" sagt der Q.I. auf einmal "die werden wir mal fragen", und wies dabei auf einige Zivilisten mit gelber Armbinde. (Eine gelbe Armbinde mit der Aufschrift "Deutsche Wehrmacht tragen nämlich hier die Zivilangestellten). Er begrüßte sie mit „Heil Hitler!“ und fragte sie, wo wir denn eigentlich steckten. Antwort: ?-?-? Bedauerndes Achselzucken. Jetzt sahen wir denn auch, dass die Armbinde irgendeine französische Aufschrift trug, und wohl oder übel mussten wir wieder anfangen zu parlieren. Nach kurzer Zeit waren wir von einem Haufen Zivilisten umgeben, die alle von der edlen Absicht beseelt waren, uns den Weg zu zeigen. Dennoch war uns diese französische Einkreisung in einer Gegend, wo wir schon seit etwa 10 Minuten keinem deutschen Soldaten mehr gesehen hatten, nicht so restlos sympathisch und wir setzten so bald wie möglich unsere Fahrt fort, um dann nach einiger Zeit auf dem Platz der Republik zu landen. Hier erregten wir unter den Zivilisten – deutsche Soldaten waren nämlich auch hier so gut wie keine zu sehen – dadurch einiges Aufsehen, dass wir uns in der landesüblichen Sitte vor eins der zahlreichen Restaurants setzten und ein Glas (sic) Kaffee tranken. An diesem und am nächsten Tage habe ich dann Gelegenheit gehabt, alle die berühmten Gebäude und Denkmäler zu sehen, die ich dem Namen nach und von Abbildungen her schon lange kannte. Notre Dame, den Louvre, die Tuillerien, die Champs Elysées mit dem Arc de Triomph, den Invalidendom, den Eiffelturm noch vieles mehr. Es schwindelt einem in Paris geradezu vor lauter Sehenswürdigkeiten, jede Strassenecke, um die man biegt eröffnet die Aussicht auf ein neues Denkmal, eine Kirche, oder ein Palais. Diese erste Fahrt nach Paris war so überraschend gekommen, dass ich es hin und wieder garnicht fassen, konnte, dass ich tatsächlich auf dem Boden dieser seit Jahrhunderten berühmten und ehrwürdigen Stadt stehe, und dies 6 Tage nachdem die ersten deutschen Soldaten ihren Fuss dorthin gesetzt hatten, Es würde viel zu weit führen, wenn ich noch weitere Einzelheiten berichten wollte, damit muß ich schon warten bis ich wieder zu Hause bin. Das wird sicher noch eine Weile dauern, wenn auch der Krieg mit Frankreich zu ende ist. Ich glaube beinahe annehmen zu können, dass wir auch noch mit nach England gehen. Da wir so ein herrlicher Etappenverein sind, dürfte das ebenso ungefährlich sein, wie unsere Unternehmungen.
Nun möchte ich noch kurz etwas über mein Quartier schreiben. Wir wohnen in einer Villa, die nach Aussagen, des Eigentümers 200 000 Franken gekostet hat. Dieser ist ein mehrfacher Millionär, hat ausser „unserem Chateau“ in M. 4 Güter und noch eine Reihe Häuser in der Gegend. Er wohnt z.Zt. auf einer seiner Fermen und war schon ein paarmal hier, um sich seinen Besitz anzusehen. Dabei bringt er immer wieder seine Anerkennungt und Freude zum darüber Ausdruck, dass wir alles so schön sauber halten. Ich liege in dem Zimmer seiner Tochter, glaube ich. Es ist ganz in rosa gehalten, hat einen besonderen kleinen Waschraum und ist überhaupt
[...]

 

 



Ansicht des Briefes

 

Briefe aus diesem Konvolut:
top