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Brief (Transkript)

Peter W. an seine Eltern am 15.12.1943 (3.2002.7401)

 

No 11 Rußland, den 15.12.1943.



Liebste Trude mein!
Wenn mein Herz so ganz einsam und voll ist, dann flüchte ich damit zu Dir. Ich weiß – Du willst alles von mir wissen und erfahren, nimmst an allem herzlichen Anteil und machst mich dadurch ja sehr – sehr glücklich. Oft und oft beschleicht mich bitteres Heimweh und es ist mir, als sei es dunkle, undurchsichtige Nacht, durch die ich mich hindurchtasten muss. Ich möchte dann alles Denken und Fühlen ganz ausschalten, ja, ich möchte gleichsam tot sein, damit mich das alles nicht mehr berührt. Unsere Welt ist doch so jammervoll klein und wir Menschen so unendlich elend und schwach. Stolpern wir nicht täglich über uns selbst? Legen wir uns selbst nicht Steine in den Weg, über die wir dann nicht mehr hinwegkommen? Ach, ich kann es Dir nicht alles sagen und schreiben, was in mir vorgeht. Und dabei erwartest Du doch von mir, dass ich ein starker, fester Rittersmann sei, der nicht nur mit sich selbst fertig wird, sondern darüber hinaus sich für ein anderes Menschenkind verantwortlich fühlen soll. Dann beschleicht mich die Angst und Not, dass ich Dich doch einst enttäuschen werde – dass doch alles an mir Lug und Trug ist und dass ich doch nicht der bin, wie Du mich in Deiner Liebe siehst und wünscht. Und ich möchte Dich dann bitten und anflehen – Ach lass mich frei, lass Deinen Peter ruhig allein hinaus auf die wogende See, damit nicht auch Du Gefahr läufst, unterzugehen. Waren doch nur alles schöne Worte und Phrasen, die ich zu Dir gesprochen, die ich Dir immer wieder geschrieben habe – die Wirklichkeit sieht ganz anders aus – davon kann ich dir nichts sagen + schreiben. Nur Eines gibt mir immer wieder neuen Mut: wenn ich Dein Bild anschaue, wenn ich das Leuchten aus Deinen lieben Augen sehe, aus denen mir Deine klare, abgrundtiefe Seele entgegenstrahlt. Dann weiss ich, dass ich doch nicht einsam und allein bin und ich habe die Sicherheit, dass Du, meine Trude, mich nie im Stiche lassen wirst, selbst wenn ich Dir entrinnen wollte. Und wenn ich Dir heute wieder etwas vorjammere – bitte, sei nicht traurig oder gar böse deswegen, auch mache Dir keine Sorgen um mich.
Da wurde ich gerade von einem Kameraden unterbrochen. Er bat mich, ich möchte ihm doch einen sinnigen Spruch für eine Weihnachtsbriefkarte an seine Frau aufsetzen. Gestern Morgen kam ein anderer und wollte gar eine Weihnachtsgeschichtchen für an seine Bärbel haben. Was soll ich da machen. Auch in diesen Dingen möchte ich doch einem jeden helfen und so kam es, dass ich gestern auf meinem Wagen durch den Horst seit Jahren wieder ein kleines Gedicht verbrochen habe. Und der gute Kamerad strahlte übers ganze Gesicht, als ich es ihm brachte. Wenn man doch alle Menschen mit solchen Kleinigkeiten zufrieden und glücklich machen könnte! Nicht wahr – liebe Trude, für uns soll es später auch zu den schönsten Aufgaben zählen, andre Menschen froh und glücklich zu machen, wie und wo wir nur immer können.
Indem ich Dich in meine Arme schließe und in stiller Freude dem Pochen Deines Herzens lausche, verbleibe ich Dich segnend mit lieben Küssen –
Dein Großer – wilder Junge – eben Dein Peter – so wie er ist

 

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