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Brief (Transkript)

Herbert (Nachname unbekannt) an seine Schwester am 17.09.1918 (3.2012.2708)

 

I. d. 17.9.1918.



Mein liebes Schwesterchen!
Schon seit langer Zeit habe ich keine Nachricht mehr von Dir und so will ich Dich doch einmal zum Schreiben ermuntern! Weil Du so lange garnichts hast hören laßen, muß ich eben annehmen, daß Du, lb. Schwesterlein, viel Arbeit in Haus, Hof u. Garten hast.
Die jetzige Gelegenheit möchte ich nicht vorüber gehen laßen und will es versuchen, Dir ein kleines Stimmungsbild zu geben von der Schönheit Flandern's!
Im Quartier bei „kleinen” Leuten bin ich seit zwei Tagen untergebracht. Es ist ein winziges Häuschen von einer Hecke umgeben, die einen kleinen Garten und den Hof mit Stall einfaßt! Die ganze Art der Innwohner macht wegen ihrer Sauberkeit und Regsamkeit nur den besten Eindruck auch mich!
Die Familie ist nur klein. Sie leben im besten Einvernehmen. Stets sah ich nur fleißig Hände in Haus u. Garten sich regen. Mit glückseeligem Lächeln auf den Lippen sprechen sie nur von der großen Befreiung aus der Staatsgewalt Belgiens. Rinderzucht u. Ackerbau werden fleißig betrieben, dazu der Anbau riesiger Flächen von Taback und Edelobst, besonders Wein Pfirsich und Melonen. Der Taback ist ja berühmt, er ist jetzt freilich noch zu frisch zum Rauchen. Ich war bei der Tabackernte zugegen. Unter dem Dach werden die Blätter auf Draht gezogen u. an der Luft getrocknet. In ihrer Lebensweise sehr bescheiden, arbeiten sie von Morgens' früh 5 Uhr bis Sonnenuntergang. Mir war es stets ein Bedürfnis gewesen, in das Leben dieser „kleinen“ Leute einen Blick zu tun. Ich muß offen gestehen, daß ich von der Art u. Weise, wie ich empfangen wurde, erstaunt u. dankbar gegenüber diesen armen Leuten war. Zur besonderen Ehre u. Freude gereichte ihnen ein Wort von dem starken Deutschland. Stets zu jeder Kostzeit mußte ich an ihrem Tische mitessen. Alles, was diese braven Menschen tun, waren Liebes- u. Dankesbeweise. Bei meinem Quartiergebern ging es nie an, daß sie, ohne mich zu Tisch geladen zu haben, ihr Mahl einnahmen. Die Verständigung war vortrefflich, die flamische Sprachweise ähnelt sehr unserer Muttersprache. Die Mahlzeiten Mittag- und Abendessen bestehen aus dem Nationalessen: Kartoffelbrei und Fett[...] mit gerösteten Zwiebeln, Sonntags gab es entweder Schweinefleisch oder weißes Bohnengericht dazu. Die Zubereitung ist ausgezeichnet! Morgens gibt es Bohnenkaffee und zwei Scheiben Brotkuchen mit Schmalz, Sonntag statt Kaffee Cacao ausgezeichnet mit reiner Rahmmilch aufgekocht und Brotkuchen mit Bienenhonig. Ich esse stets mit den Leuten, liebe, brave Menschen, mit, als Gegenleistung gebe ich meine schäbige Militärkost. Es hat mir selten so gut geschmeckt, wie bei diesen edlen u. Lieben Leuten. Nach des Tages Dienst und Arbeit sitze ich bei gutem Wetter auf der Bank mit „Papa“ und Mutterchen vor der Haustüre und unterhalte mich aufs herzlichste u. Beste mit ihnen über Landwirtschaft, Ackerbau u. Viehzucht. Wenn die Sonne ihre goldenen Strahlen über das saubere Gärtchen ergießt, sitzen „Papa“ u. ich bei der gutschmeckenden flamischen „Tonpiep“ und lauschen dem wunderschönen Hirtenliedern zu, die die Knaben u. Mädl gemeinsam singen, wenn die Rinderherden von den saftigen Weiden heimwärts ziehen. Im weiten Tal stehen zahllose Windmühlen, die im Hintergrund zum
II.
Nichtstun verdammt, das wunderbare Stimmungsbild vervollständigen. - Jeden Abend vor der Nachtruhe singen die Kinder mit denen aus der Nachbarschaft alte flämische Weisen 2 und einstimming. Die ganze Art des Kindergesanges, rein wie Glockenklang, wirkt rührend u. oftmals ergreifend auf den Soldaten. Das herrliche Liede: “Schon die Abendglocken klangen ….”, im Angesicht der prachtvollen Abendstimmung, ging mir zu Gemüt! U. a. will ich ein Kirchenlied anführen, welches ich wunderbar fand: „Wo Gott ist, ist Frieden, wo Gott ist, ist Ruh'.” Im Bett singen die Kinder einen Choral, jeden Abend einen anderen u. nach dem Gesang beten alle zusammen ein Abendgebet. - Ich vergesse diese schöne Zeit nie, die ich bei diesen lieben u. braven Menschen, gemeinsam verleben durfte. Gerade bei diesen fühlte ich mich äußerst wohl u. freute mich stets auf den schönen Abend. - Mit heißen Verlangen habe ich stets in der weihevollen Abendstimmung an meine ländliche Heimat gedacht, wo die Erinnerung unserer Kindheit in mir wach wurde. Es ist doch mir stets ein herrlicher Genuß, in Gottes wunderbarer Natur das zu genießen, was mir so lange fehlte, die friedvolle Abendandacht in Traum und Wirklichkeit! Ruhe u. Friede über allen Wipfeln. “Papa” hat mir seinen Taback zur Verfügung gestellt und nun rauche ich mit Herzenslust die “Pip”! Für mich ist die ganze Umgebung ein Bild rastlosen Schaffens und friedvoller Glückseeligkeit bis zur „ärmsten“ Hütte gewesen. Feuchten Auges nehme ich heute Abschied von einem armen Mütterchen, die ich besucht hatte; es wurden mir durch sie Bilder der Vergangenheit entrollt, die nicht wiederzugeben sind, als der Krieg ausbrach. Rührend war es, wie sie zu mir beim Abschied sagte: Für Dich, lieber Jung, bete ich, daß Du den Krieg im Vertrauen auf den Allmächtigen gesund überlebst, bleibe gesund und denke auch an das arme Mutterchen!
So sind die Leute hier, wo man sich sehen läßt, wird man mit Freuden aufgenommen.
In einigen Tagen mache ich den F.F. Kursus mit, zu diesem Zweck bin ich wieder zur alten Batterie versetzt worden. Gehöre jetzt einer H. A. an. Unsere Div. ist aufgelöst. Freue mich wirklich, nach solanger Zeit mal wieder mich kriegerisch betätigen zu dürfen, zu mal ich endlich nach ziemlich langem Warten das Kreuz bekommen habe, es ist immer ein Ansporn zu neuer Tapferkeit. Gehe oder vielmehr komme ich in den mir von 1917 noch wohlbekannten Schützengraben und werde in direckt der braven Infanterie, wie anno 17 vor Verdun, zugeteilt. Wann ich Urlaub bekomme, weiß ich nun noch nicht; es hat sich so Vieles wieder geändert. In Fichte habe ich prachtvollen Malz, u. Bohnenkaffee gekauft. Es ist erstklaßige Ware. Im Verhältnis zu anderen Orten billig eingekauft. Hier sind Lebensmittel rasend teuer. Wenn nur erst vom Ober-Kommando Nachricht käme, wohin es geht. Packl werden seit 14 Tagen überhaupt nicht befördert. Die Feldpost traue ich überhaupt nicht mehr. Es wird entsetzlich viel gestohlen. Harlebeecken, wo ich beim Stab II lag, ist ein schönes Städtchen, besonders hervorzuheben ist Kortrick, meine Karten an Muttl tragen natürlich den belgischen Namen Courtrai. Den Speck habe ich noch nicht erhalten, das kommt aber daher, weil unser Rgt. Ein wahres Zigeunerleben führt. Wir fahren von einem Ort zum anderen. Es ist entsetzlich! Dir und den lb. Eltern herzlichste Grüße
In tr. Gedenken stets Dein Bruder Herbert.

 

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