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Brief (Transkript)

Hans Kersten an seine Schwester am 09.10.1915 (3.2006.4561.8)

 

Hanokbalvanoc(?)], d. 9.10.15.



Liebes Schwesterlein,
Zunächst muß ich Dich vielmals um Verzeihung bitten, daß ich nicht früher geschrieben habe.
Es ist viel dazwischengekommen. Unter anderem eine ca. 8tägige Eisenbahnfahrt nach dem äußersten Kriegsschauplatz (S.O.) Eigentlich darf ich ja garnicht schreiben, wo ich mich befinde, aber unsere Feinde wissen es sicher auch schon, wo unser Armeekorps liegt. Die Hauptstadt des Räubervolkes, das Anstifter des entsetzlichsten aller bisherigen Kriege ist, ist bereits vorgestern gefallen. Wir liegen, oder vielmehr „lagen“ nicht weit davon ab. Nun aber höre das Entsetzlichste, das mir passieren mußte! Ich bekomme einen kranken Fuß, und während meine Kameraden den zu erwartenden Siegeslauf antreten, muß ich ins Feldlazarett, da ich nicht marschieren kann. Ich komme mir vor wie gefangen. In mir steckt der lebhafte Drang nach vorwärts, und da muß gerade ich das Unglück haben. Ja, wenn es wenigstens eine Verwundung wäre! Dann könnte ich doch das Gefühl der erfüllten Pflicht haben. Aber so! Wenn es nicht bald gut wird – ich glaube, dann behaupte ich gesund zu sein und versuche, meine Kompanie zu erreichen. Aber hoffentlich bin ich bald wieder marschfähig. - Der Fuß – es ist der linke – ist äußerlich völlig gesund, aber jedesmal, wenn ich auftrete, schmerzt er heftig und verliert seine Kraft. Weiß der Teufel, was es ist!
Während unseres Transportes habe ich eine Schilderung des auf unser Bataillon erfolgten französischen – kann auch sein englischen – Fliegerangriffs nach Hause geschickt. Ich nehme an, daß Du diese schon gelesen hast, für den Fall, daß Vater sie erhalten hat.
Daß meine Nase nicht richtig ist und die Beine zu kurz sind, ist ja schrecklich! Letzteres liegt wahrscheinlich an dem etwas langen Rock. Denn meine Beine sind in natura immer noch normal. Na, fürs Feld kommt es ja auf Schönheit nicht an, wenn nur der rechte Geist da ist, und den glaube ich zu haben.
Übrigens Dein Selbstgebackenes hat großartig geschmeckt! Vielen Dank dafür! Wie sind die Geburtstage verlaufen? War Karl zu Hause?
Grüße alle Wriezener vielmals, und sei Du besonders herzlich gegrüßt und geküßt – ich habe mich heute erst rasieren lassen -
von
Deinem Bruder
Hans

Also nun an Dich persönlich noch etwas, wie Du es wünschtest.
Die Sache mit den französischen Backfischen mag Dir vielleicht sehr unpatriotisch vorkommen. Aber das wäre eine verkehrte Auffassung. Es war uns etwas Neues und Abwechslung wollten wir auch haben. Aber eines kann ich Dich versichern:
Eine frische, fröhliche lustige, rotwangige deutsche Blume – ich denke vor allem an Theachen – ist doch ganz etwas anderes als so eine gepuderte und parfümierte, bleichsichtige französische Treibhauspflanze. Zudem haben wir uns viel zu rücksichtsvoll den hinterlistigen Franzosen gegenüber betragen.
Der bei unserem Abtransport aus Cambrai erfolgte Fliegerangriff war natürlich eine Folge von Verrat. Wären wir noch einmal in die Stadt zurückgekommen, es wäre sicher nicht ohne Blutvergießen abgegangen; so wütend waren wir auf die falsche Bande. Während sie einen unter höflich lächelnder Miene Schmeicheleien ins Gesicht sagen, halten sie hinter ihrem Rücken den Dolch zum Stoße bereit.
Nun sie, wie alle übrigen Feinde, werden ja die deutsche Faust noch gründlich zu fühlen bekommen.
Herzlichen Gruß
Hans

 

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