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Brief (Transkript)

Max Lehmann an seine Ehefrau am 18.11.1914 (3.2002.9042)

 

Östlicher Kriegsschauplatz Niebudszen. 18. Nov. 1914. Vormittag



Liebe gute Mama u Kinder!
Ein recht beschaulicher Tag, Bußtag! Ueber Nacht hat der Himmel seine uns mitunter recht unangenehmen Bescheerungen verändert und unsere Landschaft, militarisch Gelände, mit einer wohltuenden friedlich dreinschauenden Schneedecke belegt. Wie wohltuend es ist, kann man so recht empfinden wenn man tagaus, tagein, resp. nachtaus u ein von oben und unten dieses alles durchdringende Nässe eines Novemberregens ausgekostet. Als ich um 2 Uhr nachts vom Befehlsempfang im ¾ Std. entfernten Martischau zurückkehrte lag der Schnee nur stellenweise auf den mit Rasen bedeckten Wegstreifen u Wiesen, denn auf den unergründlichen wasserreichen Wegen verschlang die Nässe alles, in einer recht dünnen Schicht. Es war eine rechte Freude als wir um 6 Uhr eine 5 cm hohe Decke vorfanden. Leider fehlt etwas Frost um auf Bestand rechnen zu können.
Es ist furchtbar, wie die in den Schützengräben liegenden Kameraden aussehen u was sie zu leiden haben. Ich komme mir seit ich zum Btl Stab kommandiert bin, nicht mehr so recht als Soldat und vor und bin unzufrieden vor, da ich mir den Vorwurf mache: warum habe ich es besser? Warum bin ich besser verpflegt? Nun ich muß mich zufrieden geben. Der Soldat führt jeden Befehl aus.
Unsere letzten Tage in Porozniewo waren noch recht stürmisch. Wir hatten Befehl bis zum letzten Mann unsere Stellung zu behaupten; und es ist uns gelungen. Um 11 Uhr nachts kam Befehl: Loslösung vom Feind um ¾ 12 Uhr nachts. Wir hatten von seiten des Gegners tagsüber bis 8 Uhr abends die größte Beachtung erfahren, denn nicht weniger als 134 Granaten u Shrapnels sandte er uns als kameradschaftl. Gruß herüber. Unsere noch stehen gebliebenen Stall u Speicher gingen in Flammen auf. 15 cm Granaten regneten nur so und schlugen einige nur wenige Schritte vom Standpunkt des Kommandeurs ein. Von dem Auto daß dicht beim Eingang stand die Rückpolster wie Löschpapier fortreißend. Der Brand des Stalles ging so schnell vor sich, daß wir Mühe hatten den bereits brennenden Bagagewagen fortzuziehen und zu löschen
Natürlich ging dies nicht ohne Artilleriemusik, und auf Ehre, die russ. Granaten sind nicht mit Sägespänen gefüllt.
Um ¼ 12 erh. ich Befehl die 100 m hinter dem Gefecht wartende Bagage noch Wilkupchen[?] zu bringen und die Ankunft telef. zu melden. Aber die Pünktlichkeit aller, auch der Telefonisten war wieder einmal außerordentlich preußisch, denn als ich 5 Min. später nach ¾ 12 dort eintraf war das Telefon bereits abmontiert. Die Bagage hatte bereits Order und ich erwartete das Btl. dortselbst
Die außerordentl. schwierige Aufgabe des Loslösens (da der Feind mit 3facher Uebermacht anrückte) ging lautlos und vorzüglich von statten, die Zurückbl. Meldereiter erzählten denn anderen Tags mit Humor welche Verblüffung es hervorrief als der Gegner im Sturm unserer Stellung nahm und niemand außer 7 Kühe u 1 Katze darin vorfand. Der einsetzende Frost machte das Marschieren leicht und der klare Sternhimmel angenehm. Es ging über Bilderweitschen Wabbeln, Kl. Degesen wo wir neue Stellung dann einnahmen, die Nacht marschiert tagsüber, teils marschiert, teils die in den verwüsteten Gehöften noch vorhandenen Holzreste zusammen geholt, Feuer gemacht und 1. 2. 3. waren Kartoffel gekocht. Fleisch u Erbsenkonserven fertig gekocht. Nur Kaffee war diesmal knapp, da die Bagage weit fortgerückt war und die eis. Portion von vielen Kam. unvorsichtiger Weise schon vorher verbraucht oder von Kam. die zum Gef. Transport kommandiert, mitgenommen war. Am 7. Nov. hatten wir „Deckung der Artillerie“ die Zeit war nicht ausreichend um Schützengräben anzulegen und wer nicht eine natürl. Deckung fand mußte auf dem „Präsentierteller“ liegen. Wir hatten durch Inf. Feuer verschiedene Verluste u Verwundungen u. a. mein ehemaliger Zugführer der nach einigen Stunden auf dem Verbandsplatz starb. Er hatte nach dem 1. Gefecht das eiserne Kreuz erhalten, ein stattlicher Mensch außerdem. Die von uns Batl gedeckte Art. hatte einen schweren Stand unaufhörlich fauchten Shrap. u Granaten nieder. Von der 2. Comp. die sich nahe der Art. Stellung vorbeibewegte wurden 3 Vorw. u. 1 Landwehrmann getötet, und als nun endlich das fürchterliche Feuer nachließ da mußten die Geschütze einzeln von den Mannschaften aus der Stellung bis auf den Weg gezogen werden, da sonst alles verloren gewesen wäre. Sobald also die Geschütze aus dem Feuerbereich, durfte auch die Inf. ihre Stellung verlassen und wir beiden Gefechts Ord. erh. die Aufgabe jeder 2 Komp. zurück zu holen und nach Kl. Degesen zu bringen. Der Stab war unterdessen dahin geritten. Wir wünschten uns beide „gute Verrichtung“ und fort gings im schönsten Kugelregen ab u zu ein Artilleriegruß. Ich hatte die 2.te Komp. zu benachrichtigen, ihren Hauptmann brachten 2 Kameraden geführt er hatte Kopfwunde durch Shrapnel erhalten dann folgten noch einige verw. Kameraden und endlich kamen auch die anderen Komp. zurück
Als Letzter sollte ich mit der 1. zurückkehren und die Meldung machen. Es gelang alles vortrefflich
Als wir in die Thalsenkung einbogen gingen bereits andere Batl zum Angriff vor. Der Feind zog sich zurück, wir bezogen Notquartier in Kl. Degesen. Anderen Tags verschanzten wir uns in Schillschlen[?] wo wir am 12. Nov ein Gefecht lieferten, das uns 477 Gefangene 3 Masch, ohne Verluste zu haben, brachte am 13. marschierten wir nach Kattenau um uns von neuem zu verschanzen, wo wir aber schon am nächsten abend abrückten und nach hier zurück zogen. Jedenfalls bleiben wir, bis ein entscheidender Schlag geführt ist, hier. Vorgestern kamen frohe Nachrichten aus Hindenburgs Lager. Scheinbar ist ein Stück Ostpreußen geopfert, nur deshalb, um den Gegner etwas herauszu locken. Also abwarten, hoffentlich recht bald
Nachm.
Der Befehlsempfang hat etwas sehr lange gedauert es ist bereits 6 Uhr wo ich wieder zum schreiben komme. Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben, denn es regnet unaufhörlich. Eben bekomme ich mein Mittagessen, daß bei meinem Fortgange noch nicht fertig war. Bei dieser Gelegenheit will ich Dir einmal das „Menu“ des gestr. Tages aufstellen. Früh: süßen Kaffee und Komißbrot mit selbstausgebratenem Schmalz (Wonne) Frühstück: warmes Konservenfleisch. Mittag: Entenbraten mit Salzkart. u Apfelmuß: Kaffee, Abds: Salzhering mit Pellkartoffel hinterher Grog! Nun giebts nicht immer so feudal, aber wenn wir Btl. „Büro“ machen kommt Offz. Bagage, Koch u alles nötige heran. Der Btl Kom. hat 2 Burschen der Adjutant (übrigens Hannes Vetter) Lt. Schumann hat einen Burschen also viel dienstbare Geister, der ganze Stab zählt 30 Mann inkl. Telefonisten Meldereiter, Batl. Schreiber, Waffenmeister Btl. Fourier. Auch Zigarren giebts mehr wie bei der Truppe da die Offiz. pers. viel Liebesgaben erhalten und dann Vieles für den Stab abfällt. Du wirst also daraus den Schluß ziehen konnen, liebe Mama, daß es mir gut geht und ich nichts brauche. Gestern kam Befehl, daß Packete von Gumbinnen abzuholen sind. Leider können dieselben der Truppe nicht zugestellt werden, da durch Verteilung die Mannschaften zu sehr belastet werden (Wollsachen etc.) und dadurch die Beweglichkeit in Anbetracht der schwierigen Stellung in Frage gestellt wird. Ich wüßte auch nicht, was ich mit 3 Packeten = 30 Pf. anfangen sollte. Trotzdem ist vom Btl. der Empfang der Packete befohlen u gestattet, wird auf Wagen deponiert und sobald ruhigere Zeiten eintreten den Empfängern zugestellt.
Meinen Tornister darf ich sowie m. Kamerad Mewes auf den Offiz. Bag. Wagen geben, was teils angenehm teils nicht angenehm ist, denn die Wagen sind nicht immer erreichbar. Erhielt auch den nach d. Elsass gegangenen Speck Deine Adr. 1. Div. ist nicht richtig muß heißen: 1. Reserve-Division evt. naoh Königsberg dazu. Dann erh. ich auch den ausführlichen Brief von Deinem Besuch bei Schwarz. Erhielt von Ihnen ca 20 Zigarren und letztens Brief. Auf die Zigarren habe ich kleine Nachricht auf Karte gegeben, sobald ich kann werde ich ausführlicher berichten. Erhielt auch m. d. Speck Briefchen mit Feuerbach gedanken. Denke Dir einmal die Zusammenstellung! Feuerbach u Speck. Sei dem nun, wie es ist, es ist nur Scherz, freue mich, daß Du Gefallen an Deines Lieblingsmalers Biographie, findest. Sie Armeelampe tut mir vorzügl. Dienste und wird von allen angestaunt, denn sie ist tadellos. Habe immer noch die erste Batterie im Gebrauch, sobald diese zu Ende schreibe ich um Ersatz. Den vermißten Brief v. 17. 10. erhielt ich am 11.11. mit einem Rankröslein und den vielen Fragen von Dorle, Rudi und den verständigen Benehmen von Fritzi. Ich kann mir die kleinen Gesichter lebhaft vorstellen und bin dann auf Augenblicke bei Euch, ihr Lieben. Die Logik von Rudi, die Lernbegier von Dorle und der kleine Wildfang Fritz als Schelm. Meine Zeichnung am Kopf ist vom Zimmer aus, am Bußtag, wo alles ziemlich ruhig war, gesehen u entstanden. Ein kleines Stückchen weichen Gummi, bitte Rocklies[?] darum, kannst Du mir gelegentlich mit schicken. Vollmayers Adr. habe ich auch nicht. Da ich Dir von meiner guten Verpflegung schrieb will ich nicht vergessen, daß auch die Truppen Rum, Zigarren, Schmalz empfangen.
An Düvels sowie Tochermanns habe ich eine Karte geschr.
In Deinem Br. v 30 Okt mit Rößlein fragst Du ob ich am 29 i. Gefecht war. An diesem Tage wurde ich probeweise Gef. Ordonanz. Die gr. Brummer schlugen die letzten Fensterscheiben ein und in einige Unterstände der Gartenmauer
30 Okt war eigentl Gefecht. Ein Mann, wie bekannt schon vorher stark nervös wurde von Wahnvorstellungen verfolgt indem er behauptete die Russen kommen. Ich hatte mit noch 3 Mann Mühe, ihm sein entsichertes Gewehr zu entreißen und ihn dingfest zu machen, ehe Malheur passieren konnte. Ueber das Verhalten Höppkes war ich sehr erstaunt zumal Du in einem vorigen Brief andere Aussichten stelltest. Werde auch einmal eine Karte wenn möglich etwas Gezeichnetes senden. Nun lebt wohl ich bin gesund u munter und grüße u küsse Euch alle herzlich Euer Papa.
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Du hast recht von Schwarz Villa: Diele u Wohnhale[?] sind nun ebenso Zimmer v. Frl Schwarz dagegen sind die anderen Sachen vorhanden gewesen und nur ergänzt.
Mae[?].
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