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Brief (Transkript)

Therese H. aus West-Berlin an Annegret S. nach Ost-Berlin am 19.03.1975

 

Berlin, d. 19.3.75

Meine liebe Anne!

Nun stell Dir vor: Wir waren am 9.3. mal wieder in Leipzig. Dazu hatten wir uns ganz kurzfristig entschlossen. Wir haben doch so einen Mehrfachberechtigungsschein, der gilt noch bis 18.3. Dann reichen wir wieder neu ein. Mann, ist das alles kompliziert. Hat man diesen Schein, muß man damit zum Besucherbüro, dort bekommt man einen Stempel, dieser berechtigt dann zum Erhalt eines Visums an der Grenze. Jedenfalls haben wir uns am Sonnabend den Stempel besorgt und sind Sonntag früh 7 Uhr in Richtung Leipzig gestartet. An der Grenze mußten wir 1 Stunde warten. Wir hatten Pech, in unserer Reihe standen nämlich genau vor uns zwei Autos, die irgendwelche schier unüberwindliche Paß- und Zollkontrollen über sich ergehen lassen mußten. Sie fuhren vielleicht nach Polen oder in die CSR und wollten in der DDR Station machen. Keine Ahnung was da war, jedenfalls dauerte es eine kleine Ewigkeit. Meine Männer wurden schon ganz zapplig. Aber ½ 10 Uhr standen wir dann doch bei H.s vor der Tür. Daselbst luden wir unseren Sohn ab und fuhren bissel in die Stadt. Es war doch gerade Messeeröffnung, also waren die Geschäfte in der Innenstadt geöffnet. Es war eine unglaubliche Fülle. Ganz Leipzig schien auf den Beinen zu sein. Zum Glück sind uns keine Bekannten begegnet, sonst hätte es wieder Ärger gegeben, weil wir uns nicht gemeldet haben. Schließlich brachten wir es aber dann doch nicht übers Herz, so einfach an „Zills Tunnel“ vorüber zu gehen. Also sind wir rein und haben nach dem Küchenchef gefragt. Der und seine Frau hätten vor Freude und Überraschung bald einen Herzanfall bekommen. Natürlich mußten wir auch noch schnell zur Tochter – meinem Patenkind – fahren. Damit war aber dann unser Besuchsetat erschöpft, denn schließlich wollte ja die Familie auch noch was von uns haben. Gegen 17 Uhr sind wir dann wieder losgefahren. Es ging alles glatt und reibungslos. Um punkt 19 Uhr waren wir dann wieder daheim. Ganz schön geschafft waren wir natürlich auch. Es ist eben einfach zuviel für die paar Stunden. – Am kommenden Dienstag fahren wir nach Lemgo. Günther hat eine Arbeitsbesprechung im Werk. Vielleicht bleiben wir dann gleich über Ostern in Westdeutschland. Jenachdem ob sich eine passende Bleibe für uns findet. Wie es im Moment ausschaut, scheint sich ja das Wetter wieder zu bessern. Da macht das Reisen auch mehr Spaß. Tobias freut sich schon, er wohnt doch so gern mal im Hotel. Da fühlt er sich mächtig erwachsen. Als er neulich beim Frühstück so bummelte, meinte Günther: „Mit so einem schlechten Frühstücker kann man ja nicht ins Hotel gehen, da blamiert man sich ja.“ Darauf Tobias: „Aber man kann ja das Frühstück aufs Zimmer bestellen!“ Natürlich hatte er die Lacher wieder auf seiner Seite. Ansonsten bin ich im Moment ganz zufrieden mit seiner Esserei. Wir selbst hungern uns gerade wieder paar Pfund runter. Besonders schlimm ist es, daß es da keinen Tropfen Alkohol gibt. Das fehlt abends vorm Fernseher doch sehr. Aber was sein muß, muß sein. – Wenn es zeitlich klappt, d.h. wenn Günther mittags nicht zu spät nach Hause kommt, wollen wir mal wieder schwimmen gehen. In unserem Hallenbad ist heute nämlich Warmbadetag, also Wassertemp. nicht unter 27 Grad. Das gefällt uns gut. – Jetzt habe ich mal wieder genug geplaudert. Ich hoffe, daß es Dir – und auch der übrigen Familie – gut geht. Sei für heute sehr herzlich gegrüßt. Gleichzeitig wünschen wir Dir ein frohes Osterfest. Grüße alle lieb von uns.

Deine Therese, Günther + Tobias

So, inzwischen waren wir schwimmen. Es war große Klasse, 29 Grad. Tobias ist ohne Schwimmflügel prächtig getaucht und unter Wasser auch paar Züge fehlerfrei geschwommen. – Außerdem leisten wir uns heute Abend auch ein doppelstöckigen Whisky. Ätsch!

 

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