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Brief (Transkript)

Therese H. aus West-Berlin an Annegret S. nach Ost-Berlin o.D.

 

Meine liebe Anne!

Es ist wahrhaftig eine Schande, wie lange ich nichts mehr von mir hören lassen habe. Ich weiß, daß es keine Entschuldigung dafür gibt, also versuche ich gar nicht erst mich zu rechtfertigen. Dafür will ich Dir bissel aus unserem Dasein berichten. Zunächst: Heute ist ein ausgesprochener Schreibtag, draußen gießt es in Strömen, demzufolge belästigt mich nur selten ein Kunde, außerdem habe ich eine Hilfe fürs Geschäft. Junger Mann 18 Jahre, sehr unselbständig, nicht besonders intelligent, dafür aber fleißig. Hauptsache ist, daß überhaupt erst mal Jemand da ist. Ich kam mir ja schon fast vor wie im Zuchthaus. Es macht einen fertig, wenn man nicht einen einzigen Schritt vor die Tür setzen kann, außerdem muß man jeden aber auch jeden Handgriff allein machen, es strengt schon ganz schön an. Leider haben wir es aber noch immer nicht zu einem Filialleiter gebracht. Es gibt einfach keine Leute, und wenn, dann sind sie zu teuer, so daß wir es uns nicht leisten können sie zu beschäftigen. Nicht mal die Wohnung lockt. Wir werden jetzt evtl. die Zimmer einzeln möbliert vermieten, denn auf die Dauer kann die Wohnung doch nicht leer stehen. Es ist zu blöd, daß ich Dir diesen ganzen Quark schreiben muß. Mündlich bei einem schönen Gläschen und einem Glimmstengel ließe sich das viel besser machen, außerdem könntest Du Dich dann gleich von Augenschein überzeugen. Daß man uns diese harmlose Freude auch noch nehmen mußte, finde ich hundsgemein. Also am besten ist, ich schildere Dir mal einen normalen Tagesablauf von mir, da kannst Du Dir am besten ein Bild machen. – Morgens um ½ 7 Uhr klingelt der Wecker, da achte ich sehr drauf, daß Günther gleich aufsteht, ich rolle mich dann nochmals auf die Seite für 5 Minuten, dann geht alles wie am Schnürchen, während Günther noch im Bad ist, bereite ich das Frühstück vor, mache Günthers Schnitten, koche seinen Tee für Mittag, dann verschwinde ich im Bad und Günther holt Brötchen, deckt den Tisch, dann muß ich noch meine Plantage gießen, dann wird im Galopp gefrühstückt und danach schwingen wir uns ins Auto und Günther fährt mich ins Geschäft. Hier habe ich dann so meine Beschäftigung bis ½ 7 Uhr, dann holt Günther mich wieder ab. Zu Hause angekommen begebe ich mich in die Küche, um unser warmes Essen zu machen. Da ich immer einmal wöchentlich alles vorkoche, (ich habe einen sehr großen Kühlschrank) geht es dann fast immer ziemlich schnell mit dem Abendbrot. Anschließend wird noch abgewaschen und dann bin ich total ausgepumpt. Ich ziehe mich also mit Cognac und Zigaretten ausgerüstet auf meinen Sessel zurück und lasse mich vom Fernsehen unterhalten. Wenn es schön draußen ist, gehen wir auch mal noch bissel spazieren, aber selten. Günthers Umsatz steigt auch ständig das bedeutet wiederum, daß er oft auch noch abends über seiner Schreiberei hockt. Sonnabends arbeitet Günther im allgemeinen nicht, dafür macht er unsere Bude gründlich, sodaß wir den Sonntag, bis auf Wäsche etc. ganz für uns haben. d,h. so ganz nun wieder auch nicht, denn am Nachmittag besuchen wir oder besuchen uns G.s. Aber natürlich treffen wir uns auch noch jeden zweiten Abend nach Geschäftsschluß mit Fritz, um Ware auszutauschen. Außerdem gibt es halt immer geschäftliche Sachen zu besprechen, wozu die Männer dann den Sonntagnachmittag verwenden. Wir Frauen quasseln bissel, spielen mit dem Kind und saufen. Alles in allem bin ich aber ganz zufrieden mit meinem Leben, bloß ein oder zweimal wöchentlich hätte ich schon ganz gern einen freien Vormittag, denn so wie jetzt bleibt eben doch immer allerhand liegen. Natürlich möchte ich vor allem auch mal in Ruhe einkaufen gehen etc. Also halte die Däumchen, daß es mit einem Filialleiter klappt. So jetzt genug von mir. Dir geht es hoffentlich gut, was ich auch von der Familie hoffe. Wohin geht denn die diesjährige Urlaubsreise? Fühlst Du Dich denn noch wohl in Berlin oder möchtest Du lieber wieder nach Leipz. Aber laß man, eine eigene Wohnung ist schon etwas ganz herrliches. – Ich möchte Dich ja auch ganz gern mal besuchen, aber ich habe einfach keine Traute, aber es muß ja mal sein, ich werde mich schon mal aufraffen. Na das gäbe ja eine größere Versammlung, oder es darf kein Mensch etwas davon erfahren, aber das könnte ich meiner Schwester nicht antun. Das arme Luder hat es auch nicht leicht, mein Schwager sackt immer mehr ab. Na ja, was soll man dazu sagen. Aber schließlich bewundere ich meine Schwester doch, ich weiß nicht, ob ich sowas fertig bringen würde. Er liegt jetzt schon fast mehr im Krankenhaus als er zu Hause ist. – Du siehst so hat jeder sein Päckchen zu tragen. – So nach und nach schlafen auch die letzten Kontakte ein, die ich noch zu kirchlichen Kreisen in Leipzig hatte. Von Irmgard weiß ich nicht mal mehr die jetzige Adresse. Eigentlich tut es mir wirklich leid, denn ich habe sie wirklich sehr sehr gern, aber andererseits fehlt mir jeglicher Kontakt, ich meine innerlich oder seelisch. Ich wüßte einfach nicht mehr, was ich ihr beispielsweise schreiben sollte. Ihre Probleme sind nicht meine und umgekehrt. Es gleitet einem so durch die Finger und man weiß gar nicht wie es eigentlich kam, daß es plötzlich vorbei ist. Mit Dir wird es mir bestimmt nicht so gehen, denn bei Dir habe ich noch immer das Gefühl, als wärest Du erst gestern bei mir gewesen. Es liegt sicher daran, daß ich mich so halb im Unterbewußtsein mit Dir unterhalte. Oder wenn Günther morgens mit Kopfschmerzen aufsteht, denke ich automatisch“ ob Anne auch welche hat“ etc. Es gäbe da so viele Beispiele. Ebenso geht es mir aber auch mit Inge S., bei der weiß ich auch was ich schreiben soll. Aber ansonsten sieht es mau aus. Auch Hans-Dieter und so schreibe ich nie. Als sehr anhänglich hat sich mein alter Boss B. erwiese Er schreibt mir hin und wieder sehr nette humorvolle Briefe und ich hoffe, es mit gleicher Münze heimzuzahlen. Wenn die Telefoniererei nicht so lausig ins Geld ginge, da würde ich da vielleicht etwas mehr tun , aber so erledige ich meine westliche Post mit Schwiegermutter und so schon auf diesem Wege. Günther würde mir ganz schön aufs Dach steigen, wenn ich das noch weiter ausdehnen würde. – Wir verdienen zwar gut, aber wir haben a noch eine ganze Menge Schulden,b müssen wir uns auch noch ziemlich viel anschaffen. Unsere Möblierung in der Wohnung ist beispielsweise noch sehr bescheiden, außerdem brauchen wir auch neue Kleidung etc. Aber diese Probleme kennst Du ja selbst. Ich glaube, man wird nie fertig. Es geht immer schön rund. – Sobald es meine Zeit erlaubt und ich den Jungen hier mal für paar Stunden allein lassen kann, dann gehe ich mal einkaufen, da bist dann auch gleich mit dran. Man tut was man kann, aber alles geht einfach nicht. Aber ich hoffe, daß Du Dich in ein paar Wochen auch noch über ein Stöffchen freuen wirst. – So meine liebe Ane, das ist aber ein langer Brief geworden, hoffentlich hast Du bissel Spaß dran. Und lasse es mich nicht entgelten, d.h. lasse mich nicht ebenso lange auf einen Brief warten wie ich Dich. Für heute viele viele liebe Grüße auch an die Familie. Günther läßt auch alle sehr herzlich grüßen
Tschüß
herzlichst Deine Therese

 

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