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Brief (Transkript)

Therese H. aus West-Berlin an Annegret S. nach Ost-Berlin am 13.01.1962

 

Berlin, den 13.1.62

Meine liebe Anne!

Zu Deinem Geburtstag viele viele liebe Grüße und Wünsche. Verlebe einen schönen Tag und trinke auch ein Gläschen auf mein Wohl! Ich werde das Gleiche tun – allerdings auf Dein Wohl! Am Donnerstag habe ich per Eilboten ein kleines Päckchen an Dich abgeschickt. Es ist nicht viel, aber Du siehst die Liebe. Außerdem bin ich ganz stolz, daß ich in diesem Jahr endlich mal an Deinen Geburtstag gedacht habe. Ich will doch nicht hinter Christa zurückstehen! Das Buch schicke ich auch ganz bald ab! Ich wollte es bloß extra schicken. Anbei auch endlich ein Bild von uns. Allerdings ist von der Wohnung darauf nicht allzu viel zu sehen, aber das kommt später. So, jetzt will ich bissel erzählen, damit Du endlich mal wieder auf dem laufenden bist. Fangen wir mit der Taufe an. Also: Selbige fand am 1. Advent statt. Wir hatten uns einfach dazu durchgerungen „unser“ Kind in der zuständigen Kirche zum öffentlichen Taufgottesdienst anzumelden. Es war gar nicht zu schlimm. Kerstin brüllte gerade an der richtigen Stelle alle restlichen 3 Elternpaare und Paten waren ihr sicher dankbar, denn so fiel es nicht weiter auf, daß die meisten Leutchen nicht des Glaubensbekenntnisses mächtig waren. Aber sonst war es für uns ziemlich aufregend, denn jeder dachte dauernd an Gabi. Kerstin ist bestimmt an dem Tag etwas zu kurz gekommen. Aber sonst ist sie Mittelpunkt. Sie ist goldig und macht uns viel Spaß. Desgleichen ist Seppel nach wie vor ein liebes Prachtkerlchen. – Bei uns ist ein Tag wie der andere. Von früh bis spät auf den Beinen, viel Arbeit ziemlich wenig Geld. Aber sicher geht es Dir nicht wesentlich anders. Zu Weihnachten haben wir ganz ruhig gelebt. Heilig Abend waren wir erst in der Christvesper, anschließend bei der M. eingeladen. Eigentlich hatte ich dazu gar keine Lust, aber es war dann doch sehr sehr nett. Am 1. Feiertag hatte ich zunächst meine hausfraulichen Fähigkeiten unter Beweis zu stellen. Am Nachmittag und Abend waren wir bei G.s. Am 2. Feiertag sind wir daheim geblieben. Ich hatte nur den einen Wunsch, mal richtig faul zu sein. Zu Günthers Geburtstag hatten wir dann Gäste. Im Geschäft kamen Fritzchen und ich auch zwischen Weihnachten und Silvester nicht zu Atem, denn gleich am 3. Feiertag mußte umdekoriert werden, dieweilen wir doch sogenannte Scherzartikel handeln. (Kannst Du Dir Fritz und mich sooo lustig vorstellen?!) Wie ein Stein lag uns die fällige Inventur im Magen. Aber mutig wie wir sind, machten wir uns am Sonnabend d. 30.12. 14 Uhr daran und um 24 Uhr hatten wir es geschafft, allerdings waren wir mehr tot als lebendig. – Dafür fühlten wir uns zu Silvester frei. Diesen Tag und diese Nacht verbrachten wir recht ruhig. Jeder von uns (Kerstin + Seppel ausgenommen) trank eine Flasche Rotwein inform von Glühwein – und eine Pulle Sekt. Es war zum Glück auch ein sehr nettes Fernsehprogramm bis 3 Uhr! Punkt 12 Uhr gab es ein brillantes Feuerwerk und die üblichen Glückwünsche mit Küßchen etc. – Zu Neujahr haben wir fast den ganzen Tag gepennt, abends frischten wir unser Blut wieder etwas mit Cognac auf und sahen uns dabei Hoffmanns Erzählungen an. Im neuen Jahr habe ich auch gleich zu Anfang reichlich Arbeit gehabt, denn im Geschäft mußte abermals umdekoriert werden, außerdem hatte sich eine recht ansehnliche Menge Staubes gesammelt. Das Schlimmste aber sind meine zu einem riesigen Haufen angewachsenen Briefschulden. Diese Arbeit ist noch nicht bewältigt. Aber das Jahr ist ja noch lang und man kann hoffen, daß ich es noch schaffe. Besonders am Herzen liegt mir ein Brief an Irmchen. Du hast recht, sie ist ziemlich am Ende, der letzte Brief von ihr war schrecklich verzweifelt. – Außerdem will ich unbedingt einen Brief an Gottfried verfassen. Es ist doch ein geliebter lieber Kerl. Meine Schwester schrieb mir, er hätte sie in der Stadt angesprochen und wäre ganz reizend gewesen, unter dringender Bitte der Geheimhaltung erkundigte er sich eingehendst nach meinem Befinden und ließ mich herzlich grüßen. Nett, nicht? Was macht man bloß mit so einer alten anhänglichen Liebe? – Weil ich gerade bei dem Thema Liebe bin – wie gestalten sich Deine Beziehungen zu dem sagenumwobenen Walterchen? Ich finde es jedenfalls höchst interessant, daß Ihre nun wieder Nachbarn seid! Vielleicht hat das doch etwas zu bedeuten? Was sagt Deine Frau Mama denn zu der Sache? Wie geht es übrigens der restlichen Familie. Grüße bitte alle herzlich von mir, Deine Mutti darfst Du auch mal von mit drücken – ich habe sie schrecklich gern. –
So, ich glaube das wäre im Moment alles was es zu erzählen gab. D.h. ich muß Dir ja ganz schnell noch die Neuanschaffungen für unsere Wohnung mitteilen. – Also, da wären erstens zwei super-sonder-extraprima Kopfkissen, die aber auch ganz wichtig waren. Nachdem wir unser müdes Haupt so lange Zeit auf Sofakissen gelegt haben. (Ich schlafe jetzt noch fester als vorher – und da hat Günther sich schon aufgeregt.) Die zweite wichtige Anschaffung ist ein schicker Staubsauger! Wir haben zwar nach wie vor nur den einen Teppich, aber man kann damit auch Polstermöbel bearbeiten! Alsdann haben wir uns noch einen kleinen runden Tisch zugelegt, damit „man“ bequemer sein Weinglas abstellen kann! (Jetzt denkst Du sicher, wir hätten jetzt auch Weingläser – aber das ist ein großer Irrtum.) So, den anderen Kleinkram will ich nicht aufzählen, denn schließlich ist es für Dich ziemlich uninteressant, ob wir eine Klobürste etc. haben oder nicht!
Meine liebe Anne für heute für Dich viele viele Grüße und ein liebes Drückerchen
von Deiner Therese.

Günther läßt auch herzlich grüßen und alles Gute im neuen Lebensjahr wünschen. Desgleichen schließt sich auch Fritzchen den Grüßen + Wünschen an.
(Wird Zeit, daß ich Schluß mache, mir tut die Pfote weh!)

 

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