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Brief (Transkript)

Therese H. aus West-Berlin an Annegret S. nach Ost-Berlin am 24.08.1961

 

24.8.61

Meine liebe Anne!

Leider muß ich Dir heute eine sehr traurige Mitteilung machen; am Mittwoch den 16.8. ist unsere Oma gestorben. Für uns kam das, trotz ihrer schweren Krankheit, vollkommen überraschend. Mich hat diese Sache sehr mitgenommen, denn Du weißt ja wie sehr ich an meiner Oma gehangen habe. – Am darauffolgenden Sonnabend ist sie beerdigt worden. –
Mit der Berliner Geschichte ist es auch so eine Sache, das hätte ich niemals gedacht, daß Ostberlin abgeriegelt wird. Aber so wird den Menschenhändlern das Handwerk gelegt. Nur schade, daß so friedliche Bürger wie wir darunter leiden müssen. Na, hoffen wir, daß da bald wieder eine Lockerung eintritt, obwohl es im Moment gar nicht danach aussieht. Da müssen wir uns halt wieder aufs Schreiben verlegen, so blöd das auch ist. Evtl. auch Päckchen nach Bedarf! –
Kind haben wir am 4.8. bekommen – eine Kerstin. 9 [Pfund] lange Haare – kurz ganz goldig. Den armen Wöchner habe ich gut über die Runden gebracht. Als der Arzt anrief und mitteilte, daß eine Tochter angekommen sei, haben wir alle beide geflennt vor Freude. Frau G. sen. hat auch den letzten Tag noch erwischt, um ihr Enkelkind zu sehen, sie kam am 10.8. und fuhr am 13.8. abends wieder nach Hause. Das war auch eine traurige Angelegenheit. – Na ja, wir Westberliner kommen eben nicht aus den Aufregungen raus. Am 28.8. ist die Verhandlung gegen Fritz, das ist auch nochmal ein aufregender Tag. Man ist nur verwundert, wie man das alles überhaupt aushält. Gestern war auch ein junger Mann P. oder so bei uns und hat sich ein Fahrrad gekauft. – Für S. gibt es nach meiner Meinung nur eine Möglichkeit im Moment, sie muß zu ihrem Mann zurückkehren, denn jetzt ist doch eine Ehescheidung nicht angebracht. Man weiß ja nie, ob er jemals wieder aus dem Rollstuhl raus kann. Die Sache ist zwar verzwickt, der Unfall war tragisch, aber in solcher Situation gehört eine Frau zu ihrem Mann! Na, das muß sie ganz allein entscheiden. – Ebenso mußt auch Du wissen, was aus Dir und W. werden soll. Überlege es Dir gut, dabei gibt es sehr viel zu bedenken. Immer hübsch klaren Kopf behalten. – Nun erwarte ich von Dir bald mal einen längeren schriftlichen Erguß. Für heute viele liebe Grüße
Deine Therese

Günther läßt auch herzlich grüßen. – Ich bin ziemlich nervös, was ja auch nicht allzu verwunderlich ist. – Meine Schwester hat auch große Sorgen und Kummer. Der Opa liegt mal wieder mit seiner alten Krankheit im Krankenhaus.

 

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