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Brief (Transkript)

Carl M. aus Oberweißbach an Familie M. nach Aachen am 03.08.1980

 

Oberweissbach ,3.Aug.80

Ihr lieben 4 M.s!

Zunächst bitte um Entschuldigung, wenn ich Euch Lieben nach längerer Pause wieder mal ein Briefchen mittels Maschine schreibe! es geht aber bei meiner immerhin noch grösseren Korrespondens schneller von statten!
Also, wie weit muss ich ausholen! Zunächst möchte mich sehr für Eure lieben Feriengrüsse aus Spanien bedanken. Was Ihr jungen Leute Euch doch alles leisten könnt! Man könnte ja fast neidig werden!
Doch geniesst nur das Leben, man weiss nicht, wie lange das Schicksal diese wunderbaren Annehmlichkeiten u. Alltagsfreuden noch erleben lässt! Anders bei uns alten Knackern! Unser Leben ist mittlerweile zu 90-95 % vorübergerauschtu.müssen wir uns langsam auf das Ende vorbereiten! Wir haben täglich soviel zu tun, dass wir uns oft nicht auf uns selbst besinnen können. Ganzjährig 2 x 2 Personen Feriengäste. Jetzt in den Ferien meist noch mit Kindern als Aufbettung. Oft fällt An- u.Abreise auf 1.Tag. Hilfe bekommen wir nicht. Die jungen Leute verdienen hier im Glühlampenbetrieb u. in der volkseigenen Landwirtschaft soviel Geld, dass es Niemand mehr nötig hat, Hilfsstellung zu leisten! Die notwendigsten Bequemlichkeiten u. Anschaffungen fallen aus, da alles exportiert werden muss. So ist die Jugend hier fast gezwungen alles zu versaufen u.zu verurlauben. Wir sind schon gezwungen Urlauber zu nehmen, da sonst die sehr bescheidenen Renten nicht zum Leben ausreichen u.nicht ganz nebenbei will ja auch Haus u. Grundstück erhalten bleiben. Seit 2 Jahren warte auf einen Schieferdecker u.Klempner. Es regnet an einigen Stellen unters Dach, doch werden die Handwerkergenossenschaften kreislich gelenkt u.nicht für Private. Und dann in diesem Sommer das unheimliche ,tägliche Regenwetter. Endlich habe im Garten das enormhohe Gras mit Mühe wegen meines Knies abgemäht u.nach u.nach dürr in die Scheuer gebracht. Dadurch habe für meine Hasen u.Geflügel Futter im Winter. Das Heu wird an die landwirtschaftl.Genossenschaft abgegeben. Dafür bekomme Körnerfutter. Doch wofür schreibe ich Euch dies alles, schwebt Ihr doch im gelobtem Lande in ganz anderen Regionen!
Gleichzeitig ist es mir einen besindere Pflicht, mich für der lieben Elisabeths Paket zu bedanken! Es ist wohl immer ein Feiertag, wenn so schöne Sachen ausgepackt werden. Aber lacht bitte nicht, wenn ich Euch schreibe, dass 2/3 des Paketesinhalt abgegeben werden müssen, um Notwendigstes einkaufen zu können. Mein Auto-Auspuff war kaputt. An 4 Stellen habe die verschiedenen Auspufftöpfe zusammengebettelt. Was gibste mir, dann gebe ich dir heisst hier die notwendigste Parole! Arme, schöne Schokoladentafeln u.auch teilweise prima Kaffebohnen! So erst jetzt ein Warmwasserspender aus Leipzig. Wer hier z.B. nur einen lumpigen Wasserleitungshahn braucht muss 2-3 Tage nach der CSSR reisen u.gegen Kronen einkaufen. In unserem Alter vergehen uns solche Manipulationen. Aber mit dem Auspuff für meinen 20 Jahre alten Wartburg musste das sein, benötige ich doch meinen fahrbaren Untersatz dringender als andere Verkehrsteilnehmer! Dabei weiss ich nicht, wie lange man mich alten Knaben überhaupt noch fahren lassen wird! Alle halbe Jahre muss ich vom Arzt eine Bescheinigung einholen, dass ich noch fahren darf. Nach dem Versprechen meinerseits, dass ich nicht 4-5 Std.an einer Stange wegen angekratztem Kreislauf fahren soll u.schliesslich nach einigen guten BRD Zigarren wurde es geschafft. Schliesslich bin ich seit 1922 der älteste Kraftfahrer in Oberweissbach u. dazu noch immer unfallfrei. Wenn ich Letzteres beim Volkspolizeikreisamt melden würde, bekäme ich noch einen Orden angehängt, den ich aber nicht haben will. In gemeinsamer Hofstelle, im Ferienlager der Centrum Warenhauses, H.O. Leipzig, ist ein neues Heimleiter Ehepaar mit 2 Kindern eingerückt. Zur Zeit werden drüben 2 x 40 Kinder aus Leipzig u.Rostock zu Ferienspielen je 14 Tage aufgenommen. Ihr könnt Euch denken, was da mit Sport, Disko, Tanz usw. für Leben u. Unruhe herrscht!
Unser Heinz aus Rudolstadt, der ja mittlerweise sein Geschäft auch aufgegeben hat u.lebt, lebt. Erst 4 Woch.an der Ostsee. Er wohnte in Zempin auf Usedom in dem Hause einen Rudolstädter Zahnarztes, der verstorben ist. Danach fuhr Heinz mit seiner Hanni noch 14 Tage nach drüben in die BRD. Er hat einen guten Schulfreund in Baden-Baden, der ihm in Eurem ganzen Lande herumgefahren hat. Heinz war da auch am Bodensee bei der Gertraude u.in der Schweiz. Jetzt sind die Tochter seines Freundes ,einer Frau Professor mit ebensolchen hohen Beamten wohnhaft in Berlin-West hier in Rudolstadt zu Besuch. Sie haben uns alle letzten Sonntag hier besucht. Wir haben zusammen Mittagbrot gegessen u.sind dann nach dem Fröbelturm gefahren zum Kaffee. Auch Brigittes ausserehelicher Sohn ,Michael, war mit von der Partie. Michael ist 1,92 mtr.gross, hat seine Volksarmeezeit hinter sich u. fährt in Berlin Ost einen Postomnibus, um sich in den Ferien etwas für sein bevorstehendes Studium etwas zu verdienen.
In Jena bei unserem Franzel steht ein grosses Fest vor der Tür. Franzels Tochter ,20 Jahre alt, Kindergärtnerin, hat die Absicht einen netten Kraftfahrzeug Handwerker zu heiraten. Wir haben die Liebe gefragt, was sie sich etwa von uns als Geschenk wünscht. Ein schönes Bowlenglas u.dazu passende Gläser. Sachen also, die wir trotz eifrigsten Bemühungen nicht bekommen können.
Ihr seht, man hat in Allem seinen argen Drasch, doch geht ja alles vorüber. Mein Knie wird alle 14 Tage punktiert, eine wirklich schmerzende Angelegenheit. Ich trage mich fast mit dem Gedanken, in meinen alten Tagen nochmals operieren zu lassen.
Meine Einschreibebriefe mit schönen Sondermarken werdet Ihr erhalten haben. Heute gehen nochmals 2 Stck. ab.
Euch Lieben, mit denen ich heute viel gequatscht habe ,alles ,alles Gute und recht viel Gesundheit mit vielem Dank für Eure Mühewaltung mit uns armen Ostzonesiern verbleiben mit vielen, recht herzlichen Grüssen,
immer Eure treuen u, alten
Liesbeth u. Carl

 

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