Nach Zeitraum suchen

von 
bis 
SUCHE ZEITRAUM

Brief (Transkript)

Familie M. aus Aachen an Familie K. nach Dresden am 10.09.1978

 

Aachen, den 10.9.78

Liebe Tante Hanni !

Entschuldige bitte zunächst die Schreibmaschine, so hast Du wenigstens keine Schwierigkeiten mit der Entzifferung meiner Handschrift. Wir haben uns am vergangenen Sonntag riesig gefreut über die nette Aufnahme bei Deiner Nichte und ihrer Familie in Köln, haben gemeinsam alte und uralte Fotos uns angesehen und alte Familiengeschichte ausgetauscht.

Ich hatte oft bedauert, daß ich so gar keinen Kontakt zu Dir mehr fand, aber ich hatte Deine Adresse nicht und wußte auch nicht, an diese zu kommen. Wenn ich mich recht entsinne, haben wir uns zuletzt gesehen, als ich etwa 11 Jahre alt war, also 1941, und ich muß also recht weit mit erzählen zurück anfangen, da ich nicht weiß, was Du im Einzelnen von mir bzw. uns von Dritten gehört hast.

Ich bin ja kurz vor Kriegsende wieder von Klotzsche nach Dresden zurück und bin dann bis zum Abitur in die Schillerschule in meine alte Klasse gegangen. Studium war dann nicht möglich, da Vater ja PG war. Bis zum Lehrbeginn war ich ein paar Monate in Mecklenburg zur Landhilfe und holte mir dort eine schwere Nervenentzündung mit Lähmungserscheinungen. Diese wurde zwar (bis auf ganz geringfügige Resterscheinungen beim Laufen, die mich aber in keiner Weise behindern) behoben, doch mußte ich eine begonnene Lehre als Starkstrommonteurlehrling nach dem Probevierteljahr wegen damaliger körperlicher Schwierigkeiten abbrechen. Die Lehre wurde dann in eine kaufmännische Lehre umgewandelt, dieser Beruf war seinerzeit eigentlich für männliche Bewerber gesperrt, weil 1948 alle körperl. gesunden Arbeitskräfte in die Produktion gehen sollten. Ich wollte seinerzeit eigentlich nach der Lehre Elektroing. studieren, wenn ich aber im Nachhinein diesen Berufswechsel am Anfang bedenke war dieser sicher ein Glücksfall für mich. Ich schloß die Lehre auf Grund des Abiturs nach 2 Jahren beim VEB VEM Anlagenbau Dresden (hervorgegangen aus den techn. Büros AEG und Siemens) mit sehr gut ab und arbeitete dann in diesem Betrieb weiter bis 1953 in Buchhaltung und Betriebsabrechnung. Dann wurde ich anläßlich einer Betriebsprüfung und anschl. Bewerbung bei der Revisionsgruppe des Ministeriums für Schwermaschinenbau, HV Elektromaschinenbau in Berlin eingestellt und war drei Jahre in allen ca 30 Betrieben des Elektromaschinenbaus in der DDR als Revisor tätig. Diese meine „Lehr- und Wanderjahre“ waren beruflich und auch persönlich sehr interessant und ich verdiente auch recht gut. Ich sollte dann eine Revisionsgruppe übernehmen, doch dies hätte bedeutet, daß ich überwiegend in den Innendienst nach Berlin gemußt hätte, gleichbedeutend mit einem zwangsweisen polit. Engagement. Dies gab dann den letzten Ausschlag für meine Übersiedlung nach hier 1956. Ich fand auf Zeitungsanzeige eine Anfangsstelle in Wuppertal und schrieb mir dann erst einmal die Finger mit Bewerbungen wund. Nach einem Vierteljahr siedelte ich dann nach Aachen um und arbeitete ca 3 Jahre als Assistent des kfm. Leiters einen Maschinenbetriebes, der Klimaanlagen bes. für den Export herstellt. In Abendkursen lernte ich das hiesige Steuerrecht gründlich kennen und legte die Prüfung als Helfer in Steuersachen ab. Ich machte mich jedoch nicht selbständig, da es „Zugewanderten“ schwer gewesen wäre, an Kunden zu kommen, indessen half mir die abgelegte Prüfung wesentlich auf meinem weiteren Berufsweg. Ich übernahm dann für ca 2 Jahre die Buchhaltung eines Betriebes, der Dampfkessel fabriziert und war dann bis 1963 im Philips Glühlamenwerk als Gruppenleiter der Buchhaltung tätig. Anläßlich einer Umorganisation wollte man mich dann nach Limburg versetzen, was zwar einer weiteren Verbesserung entsprochen hätte, wozu wir aber nicht die geringste Lust hatten. So bewarb ich mich bei einer aachener Tiefbaufirma und bin dort nunmehr seit über 15 Jahren tätig als Leiter der Buchhaltung mit Prokura. Ich erledige so ziemlich alle kfm. Arbeiten einschl. Bilanz und Steuererklärungen, Zahlungsverkehr usw., was bei ca 90 Mann Belegschaft und ca 10 Mill. Jahresumsatz immerhin ein recht interessanter, aber auch manchmal recht aufreibender Job ist, zumal sich in der Bauindustrie das ganze Auf und Ab der Konjunktur immer am ersten und stärksten mit auswirkt.

Doch nun nach diesem beruflichen „Lebenslauf“ endlich zum „Privaten“. Den alten Streit, der aus der Trennung der Haushalte resultierte (1940?) möchte ich nicht aufwärmen, ich habe neulich die alten Briefe, die ich noch besitze, noch einmal durchgelesen und diese haben mich in meiner Überzeugung bestärkt, daß meine Stiefmutter ein streitsüchtiger und rechthaberischer Mensch ist, mit dem auf die Dauer ohne Selbstbehauptung kaum zusammenzuleben ist. Sie mag uns wohl wie eigene Kinder erzogen haben, doch ging es ihr ja primär darum, verheiratet zu sein, es war jedenfalls keine Liebesheirat, sondern mein Vater wollte die Kinder wieder versorgt haben. In diese Richtung fällt auch dann das „Abschieben“ von mir ins Internat (obwohl mir dies keineswegs geschadet hat). Während meiner Revisionszeit, als ich dann recht gut verdiente, habe ich dann auch recht viel zurückgezahlt von dem, was meine teure „Ausbildung“ gekostet hätte (dies warf sie mir immer vor). Mein Vater starb ja kurze Zeit, nachdem ich hier in Aachen war, und ich konnte daher nicht nach Dresden zur Beerdigung. Ich hatte damals ein winziges möbl. Zimmer und mußte finanziell ziemlich rechnen, da ich nichts besaß außer dem, was ich mit der Aktentasche von Berlin mitgebracht hatte. Meine Stiefmutter wollte mit allen Mitteln so schnell wie möglich nach Aachen, einmal um überhaupt in den Westen zu kommen, zum anderen weil ein Mann, den sie in Dresden kennengelernt hatte hier wohnte. Ich hatte zu dieser Zeit gerade meine Frau kennengelernt (März 1957). So besorgte ich mit viel Mühe und Schwierigkeiten kurzfristig eine Wohnung, in die sie dann Anf. Juli 57 mit Möbeln von Dresden umzog. Auch Gertraude zog für einige Monate mit dazu, sie war vorher ca 1 Jahr in England, um sich Sprachkenntnisse zu erwerben. Indessen gab es kein Familienleben mehr, meine Stiefmutter war immer häufiger und tagelang bei Herrn S., ihrem späteren (und wohl auch jetzigen) Lebensgefährten. Ich kam für den Haushalt im wesentlichen auf, während sie sich kaum noch um etwas kümmerte und uns zur Heirat drängte, damit sie endlich ganz ausziehen könne. Ich erledigte ihr noch ihre gesamte Rentenangelegenheit – sie erhält hier erheblich mehr Rente als sie jemals in der DDR erhalten hätte, ohne je hierfür ein Dankeschön zu hören – und am 2.5.58 heiratete ich dann. Gertraude war inzwischen mit einem Teil des Hausra tes wieder nach Dresden zurück, wo ihr jetziger Mann sein Studium beendete und ist später mit ihm wieder zur Bundesrepublik. Das eigentliche Zerwürfnis entwickelte sich dann mehr aus äußerem Anlasse: Meine Stiefmutter zog ja bei Herrn S. in eine voll eingerichtete Wohnung und wußte nicht wohin mit den mitgebrachten Möbeln. So überließ sie uns diese. Die alte Küche hatte ich bereits etwas modernisieren lassenu. das Schlafzimmer war ja auch nicht mehr das Beste. Abgesehen davon stand uns bzw. mir ein Teil des „Erbes“ zu. Kurze Zeit nach dem Auszug verlangte sie jedoch auf einmal eine größere Summe von mir, für die ich ihr die Möbel abkaufen sollte. Wir waren seinerzeit so überrascht und verärgert – wenn diese Forderung berechtigt gewesen wäre hätten wir mit der Hochzeit noch gewartet bzw. uns gleich neue Möbel gekauft – daß wir die Zahlung als unzumutbar betrachteten und als unberechtigt ablehnten. Der Streit ging dann leider über mehrere Rechtsanwälte (einer hatte ihre weitere Vertretung abgelehnt) und wurde dann schließlich nach 2 Jahren vom Gericht im wesentlichen abgewiesen. Meine Schwester hatte sich bei dem Streit ganz auf die Seite meiner Stiefmutter gestellt, weil sie offenbar von dieser mehr erwartete bzw. auch bekam.
So ist jeglicher Kontakt auch mit meiner Schwester abgebrochen, was ich manchmal bedauere, denn wir haben uns als Kinder eigentlich immer recht gut verstanden. So viel ich weiß hat Gertraude 2 Söhne und wohnt in einem Doppelhaus mit ihrer Familie und meiner Stiefmutter und deren Lebensgefährten in der Nähe des Bodensees (Markdorf).

Doch nun zu erfreulicheren Dingen, ich mußte aber wohl so weit ausholen, damit Du einmal die ganze Entwicklung verstehen und selbst beurteilen kannst. – Meine Frau ist die einzige Tochter und hat ihren Vater im Krieg in Rußland verloren. Elisabeth ist 5 Jahre jünger als ich und hat ihren Vater nur als kl. Kind gekannt. Ihre Mutter lebt hier in Aachen in einer ganz schönen Zweizimmerwohnung mit Bad ziemlich im Zentrum, sie ist 76 Jahre, körperlich noch ganz rüstig, das andere läßt langsam aber sicher nach. Wir haben acht Jahre unserer Ehe sehr auf Kinder gewartet, bis dann schließlich am 24.4.67 unser Georg das Licht der Welt erblickte. In der Zwischenzeit hatten wir uns zweimal mit der Wohnung verbessert und faßten dann 67 den Entschluß, ein Haus zu bauen, das wir dann Ende 1969 bezogen. Wir wohnen etwas außerhalb Aachens in einem vor einigen Jahren eingemeindeten Vorort ca 8 km vom Zentrum entfernt Richtung Eifel, landschaftlich recht schön, viel Wiesen und Weiden und auch noch etwas Landwirtschaft in der Nachbarschaft und trotzdem nahe zur Stadt und zur Autobahn. Nach zwei Fehlgeburten kam dann auch am 7.2.72 unsere Rodena zur Welt. Georg hat uns schulisch und entwicklungsmäßig einige Sorgen gemacht, die Zeugnisse reichten trotz unserer intensiven Mithilfe nicht zu Gymnasium oder Realschule. Auf der Hauptschule kommt er jedoch zZt. sehr gut voran, er ist für sein Alter ein sehr selbständiges und aufgewecktes Kind. Zur Schule fährt er immer mit seinem Rennrad. Seit einer Woche nimmt er auch Klavierstunde, er hat offenbar sehr viel Freude an Musik und hat schon vor längerem selbständig angefangen, sich Melodien zu suchen, Blockflöte hat er auch vorher gelernt. Mein schönes Klavier ist ja ohne mich zu fragen noch in Dresden verkauft worden, ich habe mir vor kurzem, nachdem ich mich jahrelang mit einer alten „Drahtkommode“ behelfen mußte, ein sehr schönes altes Instrument gekauft (von einem Musiklehrer) und bekomme selbst wieder Lust, meine Kenntnisse wieder etwas intensiver aufzufrischen. Die einzige Erinnerung, die ich noch außer Photos an meine Mutter habe sind eine ganze Anzahl Noten. – Rodena geht das 1. Jahr mit g roßer Begeisterung zur Schule. Sie ist ein sehr liebes Mädchen und auch sehr selbständig für ihr Alter. Vor der Schule ging sie drei Jahre allein zum Kindergarten (ca ¼ Std zu Fuß). Sie spielt – im Gegensatz zu Georg – sehr gern und intensiv und hat schon ihre Freundinnen, die sie nachmittags besucht. Beide Kinder haben jedes ihr eigenes Zimmer, außerdem ist noch ein großer Spielkeller für sie da. Hinter unserem Hause ist ein großer Garten mit Wiese und großer Terasse, der natürlich bei entsprechendem Wetter auch zum spielen und verweilen genutzt wird, Georg ist gern mit Freunden der Jugendgruppe oder den Pfadfindern unterwegs in den umliegenden Wiesen usw. Ich habe mit dem Wagen nur ca 7-8 min zu fahren zur Arbeit und mache gut 1,5 Std Mittag, dadurch wird es abends natürlich oft später. Soweit es die Zeit noch zuläßt arbeite ich dann als Ausgleich für das Sitzen im Büro noch gern etwas im eigenen Garten als Hobbygärtner. Unter Grundstück hat ca 450 qm, so daß allerhand Fläche zur Verfügung steht. Unser großes Wohnzimmer geht ebenerdig in eine schöne große Terasse über, die von einer Pergola zum Garten hin optisch abgeschlossen ist, bewachsen mit Kletterrosen und Knöterich. Dann kommt die Wiese mit Rosen und Büschen sowie Stauden eingefaßt und nach hinten mit zwei Nadelbäumen zum Nutzgarten abgeschlossen. In letzterem haben wir dann Himbeeren, Brombeeren, Stachelbeeren, Johannisbeeren, Erdbeeren, allerlei Gemüse und Salate und vor allem viel Kräuter. Für Arbeit ist also reichlich gesorgt, wenn wir auch schon diesbezüglich mal etwas liegen lassen. Mein zweites Hobby ist, den Innenausbau des Hauses immer weiter zu verbessern. Meistens muß dann dazu das Winterhalbjahr herhalten, wenn der Garten Ruhe hat. So habe ich nach und nach einen Raum nach dem anderen mit Holzvertäfelung und Paneelen selbst versehen, und diese handwerkliche Tätigkeit für das eigene Haus hat mir sehr viel Freude gemacht. –

Elisabeth hat mit dem Haus bzw. Haushalt und den Kindern auch immer genügend am Halse. Sie strickt sehr gern und viel (meistens abends beim fernsehen), näht sich oder den Kindern auch dieses oder jenes Stück und kocht sehr gut und mit viel Phantasie. Wir gehen aber auch sehr gern einmal essen, Sonntag mittag z.B. mit den Kindern griechisch oder chinesisch, am liebsten aber in Ruhe allein italienisch. Überhaupt müssen wir jede Woche 2-3 mal in die Stadt und könnten uns ein Leben ohne Stadt nur schwer vorstellen. So sind wir 1-2 mal monatlich im Sinfoniekonzert, gehen auch von Zeit zu Zeit zu bekannten Musikveranstaltungen, ins Theater oder Kino oder treffen uns mit Bekannten. Aachen bietet aber auch als Stadt selbst sehr viel und ist mir echt zur zweiten Heimat geworden, von der ich mich schwerlich trennen könnte. Durch die sehr vielen Studenten der TH Aachen ist die Stadt relativ „jung“, und auch abends und nachts sind insbesondere die Fußgängerzonen noch von viel Leben erfüllt. Zum Wochenende sind oft große Freilichtveranstaltungen, so jetzt anläßlich der Springreiterweltmeisterschaft, dann ist mal Kunsthandwerksmarkt, öfters Trödel- und Antiquitätenmarkt, für Abwechslung ist also hinreichend gesorgt. Außerdem sind wir in wenigen Minuten in Belgien und Holland und über die Autobahn in 4 Stunden in Paris, das wir mitlerweile schon 12 mal besucht haben. Überhaupt ist Reisen unser liebstes Hobby, und die Reisen werden von mir vorher monatelang vorher geplant und vorbereitet. Auch die Kinder haben schon Freude daran gefunden bzw. werden von uns soweit möglich an die Sehenswürdigkeiten herangeführt. In den Osterferien waren wir mit dem Wagen in der Toskana (Florenz, Siena, Assisi usw.), im Sommer knapp 3 Wochen mit dem Wagen in Südengland bis Cornwall und London. Beide Urlaube haben uns sehr gut gefallen und viele neue Eindrücke vermittelt.

Es gäbe noch vieles zu erzählen, vielleicht können wir uns in absehbarer Zeit doch noch einmal persönlich sehen bzw. sprechen. Wir freuen uns schon jetzt, wenn wir von Dir sicher bald auch ein Briefchen erhalten. Vielleicht kommen wir auch nächstes Jahr noch einmal in die DDR, wir waren vor ca 5 Jahren Ostern einmal da und haben meine beiden Onkels in Thüringen, eine Bekannte von Elisabeth aus der Zeit der Evakuierung, Schulkameraden von mir in Dresden und gute Bekannte in Stadt Wehlen besucht. Wir würden Dich dann gern auch einmal besuchen. Vielleicht kannst Du aber auch einmal selbst nach hier kommen, wie uns Deine Nichte in Köln erzählte warst Du voriges Jahr schon einmal dort. Du bist jedenfalls schon jetzt zu uns herzlich eingeladen.

Für heute Dir, Deinem Mann und Deinem Sohn, die wir auch gern kennenlernen möchten, herzliche Grüße von

Deinem Karl-Heinz,
und Elisabeth,
Rodena
und Georg

 

top