Nach Zeitraum suchen

von 
bis 
SUCHE ZEITRAUM

Brief (Transkript)

Ida F. aus Badekow an Werner M. nach West-Berlin am 26.06.1949

 

36. Brief
Badekow, am 26. Juni 1949

Mein geliebter Werner!

Wieder habe ich eine Woche voller Lauferei u. Enttäuschungen hinter mir. Stell Dir vor, mein Liebling, eine herrliche Beschäftigung hatte ich durch den F.D.G.B. bekommen, u. wieder hat das Boizenburger Arbeitsamt, mir die Zuweisung nach dort verweigert. Es ist furchtbar! Ich sollte in die Boizenburger Fliesenfabrik als Telephonistin. Eine wunderbare Arbeit. Am Donnerstag war ich das erste Mal dort, der Leiter der Personal-Abteilung ist wirklich nett, etwa 40-50 Jahre alt, aber sehr freundlich u. außerordentlich beliebt bei seinen Leuten. Wir waren uns völlig einig 150.- DM Anfangsgehalt sollte ich haben, der Arzt der Fabrik hat mich auch schon untersucht, ein möbliertes Zimmer war dort, alles, alles war in Ordnung. Und das Arbeitsamt sagt glatt: „Nein!“ Ohne Zuweisung stellt mich keiner ein, dann bekommt der Arbeitgeber ½ Jahr Gefängnis. Ich glaube „[?]“ hat gute Beziehungen zum Arbeitsamt, u. in diesem Arbeitsamts-Bezirk werde ich es wohl nie zu anderer, befriedigender Beschäftigung, bringen. Mir bleibt nur die Flucht.
Mein Liebling, Du kannst Dir nicht vorstellen, wie schön u. sauber es im Verwaltungsgebäude der Fliesenfabrik ist. Die Wände u. der Fußboden sind schön gekachelt, Zentralheizung im vollen Gange, die Wärme kann man jetzt bei der schon beinah herbstlichen Kälte sehr gut vertragen, herrliche Beleuchtung, einfach ein Gedicht. In der Fabrik wird 3 Schichten gearbeitet u. nach 4 Stunden Arbeitszeit gibt es warmes Essen. Am Donnerstag aß gerade die Frühschicht, es war ½ 10 Uhr, es gab eine große Tasse Milchsuppe, mit Mehl gedickt u. Salzkartoffel, Spinat u. Fleichklops. Das Personal aus dem Büro aß selbstverständlich auch. Die arbeiten allerdings nur in 2 Schichten, von 6-14 Uhr u. v. 14-22 Uhr. In dieser Fabrik sind etwa 1000 Arbeitnehmer, dort ist auch Herr B. aus Kumin. Fr. D.s Schwager, der große Elektriker, der ist allerdings im Werk. Das ist ein Landeseigener Betrieb, aber es ist sehr schön dort. Ich hätte in der Zentrale sitzen müßen u. dort die Ferngespräche zu den zuständigen Abteilungen verbinden müssen. Das hätte mir schon gefallen u. gelernt hätte ich es auch. Aber eines steht fest ich versuche jetzt alles, hier bleibe ich nicht mehr lange, vor allem muß ich aus diesem Kreis. Wenn mir D. s einen Streich spielen, dann tue ich es auch u. zwar noch vor der Ernte. Die möchten uns nur ausnutzen, nach jedem Brief den ich von Dir bekomme fragt sie, was Du von dem Kessel u.s.w. schreibst? Ob Du ihn bald schickst? Die sollen sich nur die Zeit nicht lang werden laßen.
Und nun, mein Liebling, zu Deinen lieben Briefen. Am Mittwoch kam Brief Nr. 9 an. Am 9.6. geschrieben u. am 15.6. in Falkensee gestempelt. Ich möchte den Umschlag nicht mitschicken, sonst wird der Brief zu schwer. Am Donnerstag kam das Paket u. Brief Nr. 10 v. 15.6. am 17.6. gestempelt. Für alles, mein lieber, lieber Werner, recht, recht herzlichen Dank. Über alles habe ich mich herzlich gefreut. Und die herrliche Schokolade hast Du meinetwegen entbehrt, u. sie steht Dir doch zu. Also, Liebling, herzlichen Dank, ganz sehr habe ich mich darüber gefreut. Aber noch lieber würde ich sie mit Dir gemeinsam essen.
Von Fr. M. bist Du also enttäuscht! Geahnt hast Du es doch schon immer, denn Du sagtest doch mal ähnliches zu mir. Es freut mich, daß Fr. E. anders eingestellt ist dann gibt es in Bln. doch noch andere als nur arbeitsscheue u. minderwertige Frauen, aber diese muß man mit einer Laterne suchen. Es war ja ein wirklich starkes Stück, einfach Speck abzuschneiden. Die Leute paßen sich der Zeit an. Du schreibst mir, mein Liebling: „Hoffentlich lernst Du Fr. E. bald persönlich kennen!“ Ja, darf ich denn dort zu Dir kommen? Hat sie es Dir erlaubt? Du hast mir noch nichts davon geschrieben. Und, bitte, versteh mich recht, ich möchte nicht, daß es dann wieder, wenn ich fort bin, einen Krach gibt wie bei H.s u. Du bist der einzig Leidtragende. Jeder Mensch denkt anders. Und Glück bedeutet auch zum Glück bei jedem etwas anderes! Liebling, komme bitte jetzt nicht nach hier, denn die Luft ist recht dick.
Es freut mich, daß Du nun doch schon etwas nach Hause bekommen hast von dem Hafer. In dieser Woche schicke ich noch 28 [?] Mehl ab, wie man es hier auf Brotkarten bekommt. Also, nichts besonderes. Nichts zum kaufen, nur zum eintauschen gegen Brot oder zum verkaufen. Jetzt bekommst Du wieder laufend, so schnell als möglich, den Hafer u. Mehl u.s.w. Heute bist Du doch bestimmt wieder bei Fam. D.
Ich bin erstaunt, daß die Westmark wieder so hoch im Kurs steht. Und wie geht das Geschäft? Wie hat „[?]“ gejubelt als die Westmark seinerzeit fiel. Seine Augen funkelten förmlich. Aber irren ist menschlich. Der sah sich schon in Bln. am Kurfürstendamm einkaufen mit Ostmark.
Wie ich aus Deinen lieben Zeilen ersehe, könnt Ihr dort ja schon allerlei leckere u. schöne Sachen kaufen. Es freut mich, daß Du nun auch Dein Geld nicht mehr so an die furchtbaren Zigaretten hängst sondern Dir Lebensmittel dafür kaufst. Das ist recht. Das kommt Deiner Gesundheit zugute u. die Zigaretten sind Dir schädlich. Ich gönne Dir, außer Rauchwaren, alles von ganzen Herzen. Essen mußt Du ja, denn Du bist doch den lieben langen Tag auf den Beinen. Schade, daß ich Dich nicht ein wenig betreuen kann. Oft u. gern denke ich an die Stunden unseres Beisammenseins. Hoffentlich kommt bald die Zeit, da wir immer zusammen sein können.
Bei uns ist es immer noch richtig kalt. Im Garten wächst nichts. Die Gurken u. Bohnen u. auch Tomaten u. unser vieler, vieler Tabak (½ Morgen) sind winzig klein u. ganz gelb. In diesem Sommer hat noch kein Mensch geschwitzt.
Wie geht es Dir meinem Liebling? Hoffentlich recht gut. Wie ist es gesundheitlich? Ich wünsche Dir das allerallerbeste.
Es grüßt u. küßt Dich, meinen über alles geliebten Werner, deine sich immer nach Dir sehnende u. Dir ewig treubleibende
Ida.

 

top