Nach Zeitraum suchen

von 
bis 
SUCHE ZEITRAUM

Brief (Transkript)

Ida F. aus Schwartow an Werner M. nach West-Berlin am 20.06.1947

 

Schwartow, am 20. Juni 1947

Sehr geehrter Herr M.!

Heute habe ich Ihren lieben Brief v. 11. d. Mts. sowie die Zeitungen und Illustrierten erhalten, ich habe mich ganz, ganz herzlich über alles gefreut und sage Ihnen meinen aufrichtigsten Dank dafür. Beinah möchte ich annehmen, Sie sind ein Hellseher, - denn hier kann man aber auch nichts zum lesen erhalten. Nach der geisttötenden Beschäftigung tagsüber sehnt man sich tatsächlich nach ein wenig Lesestoff. Aber Sie vergaßen die Rechnung beizufügen! Wenn ich Ihnen nun mitteile, daß wir hier wöchentlich nur zweimal Post bekommen, - und zwar Montag und Freitag – dann können Sie sich gewiß vorstellen wie einsam ich lebe. Wie auf einer einsamen Insel.
Auch ich gebe die Hoffnung nicht auf. Vor den Erfolg haben die Götter den Schweiß gesetzt. Es wird einem nichts in den Schoß gelegt, alles muß erkämpft werden. Ja auch für Sie ist das Leben garnicht so einfach. Am Tage arbeiten Sie in Ihrem Beruf und abends haben Sie noch für Ihre Häuslichkeit zu sorgen. Da gibt es dann soviel Beschäftigung und Handgriffe die man überhaupt nicht sieht. Es tut mir aufrichtig leid, daß Sie elternlos sind. Haben Sie auch keine Angehörigen mehr welche Ihnen ein wenig zur Seite stehen könnten? Man kann unmöglich immer fremde Leute zur Hilfe nehmen, es wird sonst zuviel aus dem Haus getragen. Ich meine natürlich nicht immer Sachwerte, sondern persönliche, eigene Angelegenheiten. Für einen alleinstehenden Herrn ist es jetzt besonders schwer. Man muß die wenigen guten und anständigen Menschen mit der Laterne suchen. Das Leben eines Menschen geht ja so seltsame Wege, schwer ist es zu sagen was tatsächliches Glück bedeutet.
Besten Dank für die Mitteilung Ihres werten Geburtstages. Ich wurde am 8. Dez. 1919 in Stentsch (östliches Mark-Brandenburg) geboren.
Telephonisch können Sie mich nur durch den öffentlichen Fernsprecher des Ortes erreichen, allerdings müßte ich auch dorthin erst geholt werden. Aber die Entfernung von Berlin nach hier ist wohl ein wenig zu groß. Es sind etwa 280 km. Zuhaus bin ich immer, ich habe noch keinerlei Bekanntschaften hier gemacht. Am Tage helfe ich auf dem Bauernhof mit und abends hat man immer etwas zu stopfen oder auszubeßern. Und am kommenden Sonntag habe ich sowieso keine Langeweile, denn dann habe ich Ihre interessanten Zeitungen und Illustrierten. Ich freue mich bestimmt ganz, ganz sehr darüber, und ich danke Ihnen viel, vielmals. Glück bedeutet ja zum Glück bei jedem etwas anderes.
Die Post von dort nach hier geht verschieden. Im Winter vergingen sehr oft 3-4 Wochen ehe ein Brief von hier nach Bln. kam und umgekehrt war es ebenfalls so.
Doch nun möchte ich zum Schluß kommen und hoffe, recht bald auch von Ihnen wieder liebe Zeilen zu erhalten. Immer werde ich mich herzlichst darüber freuen.
Weiterhin alles denkbar Gute und recht, recht viele liebe Grüße, in treuem Gedenken

Ihre
Ida F.

 

top