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Brief (Transkript)

Angelika W. aus Venusberg an Gerlinde B. nach Bechhofen am 23.07.1978

 

Venusberg, am 23. Juli 78

Hallo, liebe Gerlinde!

Da Du so lange nichts von Dir hören läßt, möchte ich Dir nun heute einige Zeilen schreiben. Hast Du meinen letzten Brief erhalten? Ich schickte ihn gleichzeitig mit dem großen Brief ab, in dem die Zeitung war.
Bei mir beginnen nun bald die Ferien. Zur Zeit bin ich noch im Interlager in Karl-Marx-Stadt. Wir wohnen in den Internaten der Technischen Hochschule. Gemeinsam mit Ute bewohne ich ein Zimmer. Früh um 5.00 Uhr heißt es für mich aufstehen, denn 6 Uhr gibt es Frühstück in der Mensa. Danach laufen wir zum Bahnhof und fahren mit dem Zug ca. eine Stunde bis nach Thalheim, wo wir eingesetzt sind. Von allen die dort arbeiten, habe ich noch die beste Arbeit erwischt, denn ich bin Kalfaktor. Die anderen müssen mit Hacke und Schaufel 80 cm tiefe Kabelgräben ausheben, Telefonkabel legen und wieder zuschütten. Für sie muß ich Limonade und Tee holen, an die Strecke bringen, Stiefel, Handschuhe usw. herausgeben, Waschwasser bereitstellen und vieles mehr. Ich muß mich also um alles kümmern, was gebraucht wird. Das mache ich aber viel lieber, als bei diesem schlechten Wetter Kabelgräben auszuheben. Bei uns regnet es jetzt jeden Tag und man verspürt nichts vom Hochsommer. Ute hat es auch ganz gut getroffen, denn weil in unserer Gruppe so viele Mädchen sind, mußten wir ein Mädchen zur Wache ins Internat abstellen. Sie muß immer 10 Stunden Wache sitzen.
Unsere Gruppe arbeitet gemeinsam mit 17 Frunsen aus der SU. Frunse liegt in Kirgisien. Sie sprechen kein Wort deutsch und so muß ich von früh bis spät übersetzen. 16.20 Uhr fahren wir wieder nach Karl-Marx-Stadt zurück und dann wollen sie meist mit mir in die Stadt gehen, um einzukaufen. An einem Tag habe ich ihnen noch die Sehenswürdigkeiten von Karl-Marx-Stadt gezeigt. Wir waren etwa 23 Uhr zurück und dann war nichts mehr mit mir anzufangen, denn ich war total fertig und mein Kopf summte wie ein Bienenschwarm. So sind die Tage ganz schön anstrengend und ich falle jeden Abend ins Bett. Jeden Tag ist nach der Arbeit etwas anderes los: Freundschaftsabend, Discothek, Vorträge, Konzerte usw.
Da verstehst Du sicherlich, wie sehr ich mich auf meinen Urlaub freue. Am Freitag fliegen wir 13.15 Uhr in Berlin-Schönefeld ab. Eigentlich wollten Ute und ich schon am Donnerstag nach Berlin fahren und uns noch etwas die Stadt anschauen, aber bisher haben wir uns vergeblich um ein Zimmer bemüht. Meine Tante, die in Berlin wohnt, ist gerade in Urlaub gefahren. Gestern habe ich nun meine Reisetasche gepackt. 20 kg Reisegepäck darf man mitnehmen. Aber für die eine Woche brauche ich ja auch nicht so viel. Hauptsache es ist schönes Wetter. Ich habe mir vorgenommen jeden Tag aufzuschreiben, was ich erlebt habe, damit Du Dir dann meine Reise richtig vorstellen kannst. Hoffentlich wird es auch.
Fast hätte ich es vergessen, ich wollte Dir doch noch schreiben, wer noch alles im Interlager ist. Zuerst einmal viele Russen – aus Baku, Leningrad, Frunse. Das sind die meisten. Dann noch Polen, Tschechen, Finnen, Portugisier, Österreiche und auch einige aus Eurem Land. Leider konnte ich bisher mit keinem aus Eurem Land sprechen.
Liebe Gerlinde, die letzten Tage, als ich in Freiberg in der Porzellanfabrik arbeite, war ich allein im Zimmer und so habe ich einiges unternommen, damit es nicht langweilig ist. Da war ich an einem Abend auch im Freiberger Dom zum Orgel-Konzert. Vom Dom schicke ich Dir nun einige Ansichtskarten, denn er ist einfach wundervoll.
So, das soll es für heute nun erst einmal genügen. Johannes geht eben in den Garten, um einige Erdbeeren für das Mittagessen zu holen.
Viele liebe Grüße an Dich und Deine Angehörigen
von Deiner Angelika.

Johannes und meine Eltern lassen auch ganz herzlich grüßen.

 

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