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Brief (Transkript)

Christa G. aus Dresden an Gerda Z. nach Karlsruhe am 22.05.1992

 

Dresden, den 22.05.1992

Liebe Frau Z.!
Ich habe ein sehr schlechtes Gewissen, weil schon - - - den 25.5.92
So weit kam ich, als Ihr lieber Brief in den Kasten plumste! Nun haben Sie mich doch wieder überrundet! Vielen Dank, daß Sie so treulich meiner gedenken! Es ist einfach eine gewisse Schreibfaulheit, die mich hindert. Meine Reinemachhilfe ist krank und alles allein in gehörigem Stand zu halten, ist halt doch eine ganz schöne Anstrengung. An unserem Haus ist leider seit vorigem September noch nichts wieder geschehen, nun weiß man wieder nicht, ob man nochmal Kohlen bestellen muß oder nicht. Jetzt wäre mein Keller grade so schön leer! Netterweise bekam ich wieder eine Einladung nach Stuttgart zur Sommertagung, aber das wird mir wohl doch zu anstrengend und wohl auch zu teuer. Die Leute dort meinten, ich gehöre einfach dazu, das Fehlen im letzten Jahr sei von vielen Seiten als Manko empfunden worden. Das ist zwar sehr lieb, aber es geht sicher auch ohne mich.
Seit dem Wochenende sind unsere Straßen alle aufgerissen, es werden Kabel verlegt von Telekom. Das Kabelfernsehen soll bald möglich sein, ein Telefon soll man erst im Dezember bekommen (trotz ärztlichen Attest’s.) Die ganzen Begleiterscheinungen der Vereinigung sind recht unerfreulich, aber es liegt wohl in der Hauptsache an uns selbst! Aber daß man immer wieder so sehr den Unterschied zwischen Ost und West betont, ist nicht sehr erfreulich. Wenn man immer wieder zum Menschen zweiter Ordnung gestempelt wird, trägt das nicht gerade zum Wohlgefühl bei.
Daß Hilke so fleißig geschafft hat, wird ihr sicher selbst die größte Freude einbringen! Wie geht es denn Ihrer lieben Mutter? Ist das Bein etwas besser geworden? Meine Zebrafinken sind äußerst vergnügt, die kleine Henne hat von Januar bis jetzt bereits 60 Eier gelegt. Nur brüten tun sie Gott sei dank nicht. Man wüßte ja gar nicht, wohin mit den Tierchen. Es tut Ihnen sicher ganz gut, wenn der Schulbetrieb etwas abflaut. Was haben Sie denn für Ferienpläne? Und wird Ihr Mann denn auch mal Urlaub machen? Die „Kinder“ reisen sicher wieder sehr weit. Ich hatte mich in eine Bus-Schiffsreise in die nordischen Länder verliebt, da sie aber alle nicht mit Halbpension sind – und ich nicht weiß, ob ich nur mit Frühstück auskommen werde – habe ich es lieber aufgegeben. Man hat ja keinerlei Erfahrung – und allein traue ich mich auch wohl nicht. – Ihre Mieze-Katze ist ja wirklich ein Schmuckstück, aber wieso ist sie denn so dumm? Und haben Sie die andere noch? Wenn ich nach der Renovierung in’s Parterre ziehe, schaffe ich mir vielleicht auch wieder eine Katze an. Jetzt versorge ich immer nur Nachbars Minka, wenn die Familie verreist ist – und deren Schildkröte Susi, die ein ganz lebhaftes Tier ist und kräftig aus der Hand frist. Jetzt fehlt mir manchmal doch mein Klavier, aber in der Waldorfschule wird es nötiger gebraucht. Sehr viel tun kann ich nicht mehr, aber 2x wöchentlich kommen 2 Lehrer zu mir zum Mittagessen. Und Nachbars-Kinder ringsum werden immer im Bedarfsfall bei mir abgestellt. Kommen Lehrkräfte für irgend welche Seminare, dann übernachten und essen sie bei mir. Es ist immer sehr interessant. Etwas mehr Kräfte als vor Dr. S.s Tod habe ich doch wieder gewonnen. Neuerdings betätige ich mich „schriftstellerisch“: auf vieles Bitten habe ich begonnen, meine „Lauenstein-Erinnerungen“ aufzuschreiben. Mal sehen, was draus wird.
Jetzt habe ich soviel von mir geschwätzt, aber so geht es eben, wenn man allein ist. Ich wünsche Ihnen einen schönen, erholsamen Sommer bei guter Gesundheit!
Viele liebe Grüße, auch ringsum von Ihrer
immer dankbaren
Christa G.

Warum der Stift so kleckst, ist mir unerfindlich, ich bitte sehr um Entschuldigung!
Bei uns blüht es auch übermächtig, alles auf einmal, das kenne ich sonst nur von Ostpreußen.

 

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