Nach Zeitraum suchen

von 
bis 
SUCHE ZEITRAUM

Brief (Transkript)

Christa G. aus Dresden an Gerda Z. nach Karlsruhe am 22.03.1990

 

Dresden, den 22.3.90

Liebe Frau Z.!
Was für ein Segen hat sich schon wieder über mich ergossen – es ist ja kaum zu fassen! Diesmal ist mir die Cocosnuß am wichtigsten, daraus sollen meine beiden Zebrafinken eine Nistschale bekommen, die man (es) hier mal wieder nicht zu kaufen bekommt. Die Früchte sind ja ganz wunderbar und meine „Enkelkinder“ bewundern am meisten die Ananas. Ich bedanke mich ganz herzlich für das wunderbare Geschenk.
Wir sind hier alle sehr beschäftigt für die Gründung einer Waldorfschule. Am 4. September sollen die ersten 3 Klassen beginnen. Gestern abend haben wir fast 2000 Informationsblätter gefaltet, kuvertiert und mit Porto versehen. Herr Dr. K., Herr K. aus Stuttgart halten Vorträge, Dornach und Hamburg senden Waldorflehrer, es ist immer zu was los. Ich leiste meinen Beitrag, indem ich jungen Eltern durch Übernahme der Kinder am Tage stundenweise und abends als Babysitter unterstütze. Inzwischen ist ja auch in Leipzig die Gründung der Anthroposophischen Gesellschaft erfolgt. Wie hätte sich meine Schwester Anne gefreut! Mein junger Nachbar hat sich von einer Konzertreise der Staatskapelle einen VW-Passat mitgebracht – aus Karlsruhe! Von dort wurde auch ein Computer gespendet für die Waldorf-Initiative. Alles diesbezügliche wird ja vorläufig nur aus Spenden gedeckt. – Nachdem die Aufregungen durch die Wahl vorbei sind, wird es nur noch aufregender, in dem vieles und auch nichts geschieht. Die Subventionen, die ja bei den niedrigen Einkommen nötig waren, fallen weg, aber die Einkommenshilfen kommen nicht – aber woher auch?, unsere Kassen sind ja leer trotz des so vielgerühmten Nationaleinkommens. Und ich fürchte, arbeiten müssen viele unserer Menschen erst wieder lernen. Durch das Fehlen der Produktionsmittel ergaben sich zwangsläufig Arbeitseinschränkungen, die nun zur Gewohnheit geworden sind. Das wird noch vieler Mühe bedürfen um da Einsicht und Ordnung zu erzeugen. Das sind halt so die Dinge, mit denen man ständig konfrontiert wird. – Dabei sind schon sämtliche Knospen aufgesprungen, Birnen- und Pflaumenbäume, Magnolien usw. blühen so schön wie selten und man könnte wohl recht frühlingsfroh sein. Wie gerne würde man sich der Hoffnung hingeben: nun muß sich alles – alles wenden: aber wohin? Die Menschen sind grade in politischer Beziehung doch ein schreckliches Volk!
Hoffentlich habe ich Sie nicht gelangweilt. Ich bedanke mich nochmals ganz herzlich und grüße Sie und Ihre Familie als
Ihre
Christa G.

 

top