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Brief (Transkript)

Christa G. aus Dresden an Gerda Z. nach Karlsruhe am 19.11.1989

 

Dresden, den 19.11.89

Liebe Frau Z.!
Ehe ich Ihren so lieben, ausführlichen Brief beantworten konnte, traf schon Ihr schönes Paket mit den seltenen Backzutaten ein. Morgen werden die ersten Pfefferkuchen gebacken! Vielen, vielen Dank für all die schönen Sachen!
Daß Ihre beiden Töchter so wunderbar begabt sind wirklich in jeder Richtung, ist eine große Freude! Aber sie waren ja wohl auch immer sehr eifrig und zielstrebig, denn ohne dies kann die schönste Begabung sich nicht entwickeln. – Ja, hier ist viel los z.Zt. und ich bin froh und dankbar diese Wende noch miterleben zu dürfen. Heute nahmen Dr. S. (88) und ich an einer Demonstration der Künstler und Kunstschaffenden auf dem Theaterplatz teil. 2 Stunden standen wir und hörten den Ausführungen, Anklagen und Plänen für eine Neuentwicklung zu. Es ist schon erschütternd und gewaltig, was da alles zu Tage kommt. Es haben jetzt schon viele Gruppen demonstriert, aber Paedagogen und Lehrer fehlen eigentlich noch. Und unsere Jugend braucht ja die Neuschaffung der Erziehungswege und –ziele so notwendig. Dadurch, daß ich zu den jungen Künstlerfamilien in der Umgebung eine sehr gute Verbindung habe, kann ich alles intensiv miterleben. Wir haben uns auch gleich für das „Neue Forum“ eingetragen. Man kann gespannt sein, wie die wirtschaftliche Entwicklung weitergeht, bislang steigen nur die Preise, die Renten leider nicht! Aber wenn man jetzt so erfährt, wo die so raren Devisen abgeblieben sind, dann braucht man sich über nichts zu wundern. Eine Wiedervereinigung scheint mir zu diesem Zeitpunkt zu früh, wir wären und blieben die 2. Garnitur, ehe wir – zwar sicher nicht ohne Unterstützung – aber durch eigene Anstrengung aus dem jetzigen Sumpf gefunden haben. Ich glaube, daß jetzt die Wenigen doch im eigenen Land mehr schaffen werden, als vorher die Vielen ohne Hoffnung. Prof. G., der große Trompeter, schloß heute seine Ausführungen mit den Worten: „Bleibt im Lande und wehrt Euch tapfer!“ Die sogenannten „Flüchtlinge“ haben sicher nicht das bessere Teil erwählt, aber wenn man von klein auf nur gepredigt bekommt, daß nur „das Glück“ das einzig Erstrebenswerte sei, dann erstrebt man es eben nur im Materiellen. Daß dazu eigenes tätiges Bemühen gehört, das wird vielen jetzt eine mehr oder minder bittere Erfahrung sein. Die Situation der ärztl. und pflegerischen Versorgung ist besonders prekär bei uns. An der Medizinischen Akademie sind Ärzte und Pflegepersonal in Scharen abgezogen. So könnte man laufend fortfahren aufzuzählen. –
Mir geht es wirklich etwas besser, ich habe wieder Tatendrang und kann auch mal was riskieren, wenn ich es auch meistens dann büßen muß. Aber erst geht’s mal und das ist wichtig. Stuttgart wird nun für uns Alten nicht mehr möglich sein, jetzt sind die Jüngeren am Zuge. –
So, jetzt will ich erst mal aufhören. Wenn ich nach dem, was Sie schon schickten, noch etwas wünschen soll: Wenn Sie mal wieder etwas ablegen, dann ist das hoch willkommen, weil hier fast unerschwinglich. Aber das ist nur eine Antwort auf Ihre Frage, es geht auch ohne! Ihnen und Ihrer Familie herzliche Grüße und eine schöne Adventszeit! Ihre dankbare Chr. G.

 

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