Köngen, den 4.10.64.

Liebe Wendelgard!
Nun muß ich Dir doch endlich mal sagen, daß ich glatt hier gelandet bin. In Leipzig bin ich garnicht erst Kaffee trinken gegangen, weil der nächste Zug schon dastand. In Zwickau gab es ein frohes Wiedersehen bzw. Kennenlernen. Einzig in der Nähe von Backnang hatte sich in der Nacht vorher ein Baukran über die Geleise gelegt gehabt, sodaß wir eine Weile schön Schritt fahren mußten, und ich der Verspätung wegen lieber in Cannstadt umstieg, wo wegen des Volksfestes ein reizendes Gedränge war.
In der Webstube gab’s gleich mächtig Betrieb, viel Besuch und Schreiberei, sodaß ich nicht an meiner Arbeit bleiben konnte. Hoffentlich kann ich das diese Woche nachholen.
Inzwischen habe ich auch Besorgungen gemacht, für die Zwickauer, für Erna, die nächste Woche Geburtstag hat, und für Euch. Ein Uhrarmband habe ich bekommen und einige Staubdichtungen, von denen sich nun Dein Uhrmacher aussuchen muß, was am besten geht, weil der hiesige nicht sagen konnte, was paßt, und ich ja noch viel weniger.
Gestern Nachmittag hatten wir Treffen der Reisegesellschaft, die im Antholzer Tal Urlaub gemacht hatten. Nur 5 fehlten von den 60. Es wurden – z.T. hervorragende – Dias gezeigt, denn es hatten ja verschiedene geknipst. Und im übrigen freute man sich, sich einmal wiederzusehen.
Die Woche war auch jemand da, der mich um einen Scherenschnitt von Stuttgart bat (für Weihnachten ausgerechnet!), eine etwas prosaische Angelegenheit. Ich habe nun heute den ganzen Tag Postkarten von Stuttgart vor mir liegen, um die richtige Reihenfolge der „hervorragenden“ Türme und Dächer herauszuknobeln, damit es nachher auch stimmt. Ist garnicht mal so einfach.
Hat Dietgard ihren Geburtstag noch nett verbracht?
Mich hat’s sehr gefreut, Euch alle einmal wiedergesehen zu haben, und ich danke Euch herzlich für diese Woche. Bitte, sagt Frau K. noch einen Gruß. Es tut mir sehr leid, daß ich mich nicht mehr von ihr verabschieden konnte.
Euch allen herzliche Grüße
von Eurer Küngolt.