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Brief (Transkript)

Willy M. aus Gotha an Charlotte M. nach Göttingen am 17.02.1985

 

5800 Gotha, den 17.Februar 1985

Liebe Schwester Charlotte!

Erstlich muß ich bestätigen, daß ich die bisher gesamte Post in Briefpost und auch das Zwiebackpaket erhalten habe. Herzlichen Dank auch dafür!
Deinen Kurtermin ist un s auch zur Kenntnis gekommen und das Winterwetter hat sich zum zweitenmal und gewiß auch nicht zum letztenmal mit aller Stärke ein gestellt. Ob es richtig war oder ist kann ich nicht sagen und möchte mich auch nicht hineinmischen. Das ist Deine und auch dem Arzt seine Angelegenheiten. Ich habe es zwar auch mit durchgemacht, aber schließlich entscheidet doc h die medizinische Seite der Angelegenheit. Man wird gefragt, aber der ärztliche Weg seine Richtung. Nur meine letzte Entscheidung wäre die: eine Operation würde ich ablehnen. Denn so schlimm ist es nun doch noch nicht. Es kommt auf die Ergebnisse der Kur darauf an. Ich sehe die Sache in erster Linie von der frischen Luft und körperlichen Erholung an. Während Deines Urlaubes Deine Wohnung zu beaufsichtigen lehne ich ab. Die Gründe dafür schildere ich auf den späteren Seiten. Ich wünsche Dir jedenfalls von ganzen Herzen eine gute Erholung und der Krankheit einen Stopp!
Einmal kommt alles auf einen zu, dann wieder sin d es monatelange Pausen, die ich von der Ostseekante zu erwarten habe. Aber vielleicht komme ich später noch einmal darauf zurück.
Nun mal zu etwas ganz anderen, was unserer Familie betrifft. Als ich zum ersten Mal bei Euch in Gö. gewesen bin, hatte ich den Eindruck, daß es ein herzliches und äußerst harmonisches Miteinander ist. Die Fahrten verliefen sehr interessant und zügig, ja sogar humorvoll. Ich hatte meinen Spaß und vergaß einmal die andere Seite. Die Gespräche waren mit E. inhaltsvoll. geistvoll und auch gegenseitig tolerant. Es waren schöne drei Woche n meiner und Euerer Erholun g. Die nächsten Besuche galten der Fürsorge für di Krankheit v. E. sowie der schwesterlichen Fürsorge un d der verwandtschaftlichen Pflege der famililären Verbindung. So gesehen waren die Besuche und auch die finanziellen Anstrengungen dein erseits echt enorm hoch. So mußten wir die letzten Reisen nicht mit eine Optimismus erleben und anreisen. Zumal bei der Letzten Zusammenkunft meiner Frau mit angereist war. Wir mußten des öfteren erleben, daß Du diese oder jene Ausgaben hattest für da Auto, wie neue Bereifun g u.a.m. Dein Willen, uns vieles zu zeigen war enorm und wir anerkannten es auch. Manche Momente bekamen von uns eine Hochachtung. (Rasierapparat) Aber trotzdem sickerte das Gefühl bei uns durch, daß Du ja auch Deine Brötchen erst verdienen mußt. Es kam dann doch manchmal eine Erbitterung durch, die die Laune etwas trübten. Wir sahen sehr gute und landschaftlich schöne Sachen, die wir noch nicht sahen und würden es auch nicht ohne Dich gesehen haben. Wir sind daher zu den Schluß gekommen, daß Du Dich in Bezug unserer Familie zu viel übernommen hast. – Wir sahen viel und staunten sehr! Aber trotzdem kamen wir uns als ganz arme Menschen vor. Zu Hause hatten wir das Geld, bei Dir waren wir nur die, die mit sehnsüchtigen Augen Eueren enormen Lebensstandard bewundern konnten. Es tat uns weh, wenn Du für uns das oder die Gelbörse öffnen mußte. Ich möchte nicht schreiben, daß uns manchmal der Magen geknurrt hatte. Es lag nicht an Dir, Charlotte! Jlse ist ein satter Esser, ich selber komme besser darüber weg-. Wir sahen bei Euch überhebliche Gesichter, zufriedene Gesichter, während wir im BUS doch ärmliche Mienen verzogen: weil wir eben nicht konnten wie wir wollten! So oder so ähnlich geschah es auch bei jeglichem Stadtbesuch. Am meisten wurde Jlse beeindruckt und ist bis heute noch nicht darüber hinweg. - - - Deshalb verstehe bitte unsere Meinung über die letzte Fahrt. Wir haben auch alles in Kauf genommen, die Enge und das Schlafen. Aber eins haben wir nicht verkraften könnten: daß wir moralisch ganz arme Leute da unten waren und zu Hause hatten wir die Pfennige liegen. Unser Entschluß: Fürs erste kommen wir im Jahre 1985 nicht!

 

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