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Brief (Transkript)

Charlotte M. aus Göttingen an Willy M. nach Gotha am 11.03.1984

 

Göttingen, 11.3.84

Lieber Bruder Willi!
Deinen Brief vom 2.3. erhielt ich am 8.3.84 – herzlichen Dank dafür. Das ist ja ein Brief mit Perspektive! Das lob’ ich mir, immer den Blick voran, das Gewesene ist Schnee von gestern! Ganz besonders begrüße ich, daß Du bei Heinz warst! Mir lag das schon einmal auf der Zunge, befürchtete jedoch Deine Beschwichtigungen (hör mal zu usw) Nun ist endlich der Teufelskreis M.-O. durchbrochen – das hast Du gut gemacht und ich freue mich, daß Inge und Heinz zugänglich waren. Sie werden ja alle älter. Wie sich Eure Treffen gestalten, geht nicht weiter aus Deinen Zeilen hervor. Ich für meinen Teil würde allerdings eine Begegnung in Eurem Garten oder in der E. Weinert Strasse – also auf neutralen Boden vorziehen, wohlgemerkt nur für meine Person und bis Heinz endgültig Rentner ist. Ich bitte dafür um Verständnis.
Auf Deinen Besuch bei mir freue ich mich natürlich! Bei Deinen Dispositionen hast Du hoffentlich bedacht, daß ich am 4.-6.5.84 die Hessenfahrt mit dem Geschichtsverein mache und am 12. und 13.5. mit dem Geschichtsverein nach Magdeburg, Tangermünde, Stendal fahre. Vom 25.5.-7.6.84 fahre ich von hier aus über Hannover-Hamburg-Lübeck nach Warnemünde mit dem Auto. Ob ein Treffen dort möglich ist, kann ich natürlich nicht entscheiden. Das müßtest Du mit Dieter und Hanna besprechen. Sie müssen ja die Oma Anna versorgen und da weiß ich wirklich nicht, wie dort die Planungen sind. Dieters Einladung habe ich ja schon mehrmals verschoben aber nun möchte ich doch mal fahren. Denn im nächsten Jahr möchte ich mal wieder in südliche Regionen fliegen. Dieses Jahr stehe ich demzufolge voll der Familie M. zur Verfügung. einen Teil meines Urlaubs hebe ich für den Besuch von Dir und Ilse im September/Oktober auf. Ich denke, daß Ihr Beide dann auch Weihnachten kommt. Alles natürlich vorausgesetzt, daß Deine Operation verschoben wird oder sie ohne Komplikationen verläuft. Ich will versuchen, für Ilse eine Art Schlafstelle zu bekommen, da sie ja wohl befürchtet, daß ihr die Decke auf den Kopf fällt bei mir. Mir leider unbegreiflich. Wenn ich eine 2-Zimmer Wohnung mieten würde, käme die Mite auf DM 500.-- plus Nebenkosten ca 80.-- DM, also über DM 200.– mehr im Monat. Da müßte ich auf eine ganze Menge verzichten, denn Gehaltserhöhung ist nicht mehr zu erwarten. Mein Berechtigungsschein läuft am 15.3.84 ab. Einen neuen habe ich am 25.2.84 beantragt, Laufzeit 4 Wochen. Es könnte also sein, daß ich erst am 24. oder 26.3. den neuen Berechtigungsschein erhalte. Also: wenn der betr. Schein pünktlich eingeht, komme ich am 24.3., Wenn er erst am 24.3.eingeht, komme ich am 25.3., wenn er erst am 26.3.eingeht kann ich erst am 31.3.84 kommen. Hoffentlich habe ich das verständlich genug ausgedrückt.
Ich bringe die Erde mit und was wird sonst noch gebraucht? Den Besuch aus Düsseldorf vom 3.-6.3.84 habe ich mehr oder weniger gut überstanden. Es war die Frau eines früheren Kollegen von S., die ich nach über 10 Jahren wiedersah. Sie suchte jemand zum Unterhalten, d.h. sie breitete mir ihre Eheprobleme aus. Sie ist Hauptschullehrerin, ihr Mann hat sich in Meererbusch eine Buchhandlung gegründet. Sie haben einen 22 jährigen Sohn. Soweit so gut- doch jetzt meint sie, sie hätte etwas versäumt in ihrem Leben. Ich habe ihr klipp und klar meine Meinung gesagt. Sie hat einen Mann der sie liebt, einen Sohn mit einer Ausbildung zum Exportkaufmann, eine Wohnung 4 Zimmer und vieles mehr – was will sie eigentlich noch? Einen Beruf der ohne viel Mühe Geld einbringt! Midlifecrisis nennt man das im Englischen – ich kann ihr nicht helfen, wenn sie so schlau sein will, muß sie nicht nur reden, sondern auch handeln. Sie bewundert mich und wie ich mit meinem Leben fertigwerde - ich habe eben für solcherart Allüren kein Verständnis, selten sah und erlebte ich etwas so Unreifes und Arrogantes auf einen Haufen. –
Der Sohn von meiner Düsseldorfer Freundin Liesel ist nach seiner Herzoperation wieder zuhause, hat noch viel Schmerzen und erholt sich nur langsam. Erst mußte er zweieinhalb Wochen in der Klinik auf die Operation warten, dann schickte man ihn ohne Krankenwagen!!! nach 10 Tagen nachhause. Mit Mühe und Not hat ihn sein Vater abholen können, er konnte nicht sitzen, nur stehen und Liegen. Zu allem Überfluß ist er ja arbeitslos, hat seine Ausbildung beendet und will ein Studium anfangen. So ist es auch schwer, einen Platz im Rehabilitationszentrum zu bekommen. Obwohl Geld genug da ist, geht alles über die Sozialhilfe. Und das alles mit 22 Jahren. Aber er wird es schaffen, nur dauert es etwas. Mir geht es soweit gut. Am Mittwoch hatten wir die letzte nichtöffentliche Sitzung die wir bei einem Glas Wein ausklingen ließen. Nun ist am Dienstag die Personalratswahl, ich habe 6 Stunden Dienst. Bei der konstituierenden Sitzung wird es dann noch einmal fröhlich zugehen.
Heute morgen habe ich einen Spaziergang von anderthalb Stunden gemacht, das tat gut. Ein bißchen bin ich erkältet, wird aber mit Vitaminen „bekämpft“. – Ich freue mich sehr, daß Du die Kraft hast und in den Garten gehen kannst und dort sogar arbeitest. Erhalte Dir diesen Willen, das ist ungeheuer wichtig.

 

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