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Brief (Transkript)

Christian S. aus Taubenheim an Erich Honecker nach Ostberlin am 13.02.1977

 

Herrn
Erich Honecker
Generalsekretär des ZK der SED Christian Schlenker

102 Berlin 8607 Taubenheim
[Straße und Hausnummer]


Taubenheim, 13.2.77

Antrag zur Ausreise in die BRD

Am 25.11.76 stellten wir erneut einen Antrag zur Übersiedlung in die BRD. Außerdem baten wir entsprechend der gesetzlichen Grundlage um Aberkennung der Staatsbürgerschaft der DDR. Leider müssen wir feststellen, daß unser Schreiben bis zum heutigen Tag noch nicht beantwortet wurde.
Heißt es jedoch im Artikel 103 der Verfassung der DDR, daß jegliche Eingaben bearbeitet und dem Bürger das Ergebnis mitgeteilt wird. Unzureichend in dieser Angelegenheit erscheint uns die Tatsache, daß man ständig die Zurückweisung unserer Schreiben vom Rat des Kreises; Abt. Inneres vornimmt. In wenigen und unzureichenden Worten wurde jeder Antrag abgelehnt. Neuerdings mit dem Hinweis, ungelesen in den Papierkorb geworfen zu werden. Entspricht das dem Sinn des Art. 103 der Verfassung?

In diesem Schreiben möchten wir nochmals an die bereits fünf gestellten Anträge appelieren und erneut bekräftigen, daß wir von einer Übersiedlung in die BRD nicht absehen. Presse, Rundfunk und Fernsehen brachte und bringt genügend Beiträge zur Einhaltung der KSZE Schlußakte. Dies ist sehr wünschens- und begrüßenswert.
Nur sollte man bei dieser Angelegenheit den Korb III nicht vergessen und ihm auch bei uns etwas mehr Beachtung schenken. Bekannte man sich doch seitens der Regierung durch Unterschrift derselben und akzeptiert Geist und Buchstaben.
Stehen die Verpflichtungen der Absichtserklärungen nicht auch in Verbindung mit Art. 8 (1) der Verfassung?
Was nützt von diesen Tatsachen ausgehend, von humanitären Begriffen zu sprechen, wenn sie nicht zum Tragen kommen. Ein Beispiel dafür sind unsere bereits gestellten und abgelehnten Anträge. Wieso hat man so kalt reagieren können, als unsere Verwandten aus gesundheitlichen Gründen dringend Hilfe benötigten. Bekommt man da nicht Zweifel?

In Artikel 20 (1) der Verfassung der DDR steht etwas über die gleichen Rechte und Pflichten. Mit welchem Recht werden dann Unterschiede im Reise- und Besucherverkehr zur BRD und im Bezug der Erteilung von Ausreisegenehmigungen getroffen.
Heißt es nicht auch in der UNO-Charta zur allgemeinen Erklärung des Menschenrechts („Jeder Mensch hat das Recht, jedes Land, einschließlich seines eigenen zu verlassen sowie in sein Land zurückzukehren)“.
Aus dem Nichterfüllen dieser Tatsachen und Fakten der vorangegangenen Anträge, mit denen wir uns absolut nicht mehr einverstanden erklären können, bitten wir um Ausreise in die BRD bzw. Aberkennung der Staatsbürgerschaft.

Ausdruck unserer Überzeugung ist, daß wir im Oktober an den Wahlen nicht teilnahmen.

 

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