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Brief (Transkript)

Familie W. aus Miltitz an Familie K. nach Düsseldorf am 07.03.1954

 

Paul W. • Tischlermeister
Bau- und Möbeltischlerei
Fernsprecher Markranstädt Nr. […] ∙ Postscheckkonto Leipzig Nr. […] ∙ Kreissparkasse Leipzig, Zweigstelle Miltitz, Nr. […]

Miltitz bei Leipzig, den 7. März 1954
[Straße und Hausnummer]


Liebe Familie K.!

Schon lange wollte ich an Sie schreiben, doch immer, wenn ich dazu ansetzen wollte, wurde ich jedesmal irgendwelcher Art daran gehindert.
Den Eindruck unserer 8tägigen Reise nach dem „Westen“ habe ich Ihnen ein wenig dichterig geschildert.
Vor 3 Wochen kam ganz unverhofft Frau G. mit ihren 2 Kindern nach Hier. Der Grund war weniger angenehm für sie, denn sie kam zur Beerdigung ihres Vaters nach Leipzig.
Ich selbst habe 14 Tage an Jschias gelegen. Jetzt geht es so einigermassen. Eine Frau darf keine Zeit zum krank sein haben, denn da stimmts gewöhnlich auf keiner Ecke.
Doch nun Schluss damit.
Ihnen nochmals herzlichst dankend für die liebevolle Aufnahme und Bewirtung als wir zu Besuch bei Ihnen waren, Ihnen weiter alles Gute wünschend, verbunden mit den besten Grüssen
Ihr
„kleines Bäuerlein Päärchen“.


Was ich hier schreibe, das ist wahr, wir erlebten es /54 im Januar

Gröstenteils geht es im Leben,
Meistens schief und auch daneben.
Doch manchesmal da hat man Glück,
Wenn gütig waltet das Geschick.
Ich will es hiermit kurz beweisen,
Wie’s manchmal kommt --- schnell zu verreisen.
.----------.
An einem Sonntag sasen wir
Paul und ich bei Schnitzel und Bier.
Da kam nach kurzer Zeit auch schon
Herr Scheibe mit Margot und Schwiegersohn.
Letzterer war aus dem „Westen“
Er erzählte von „Drüben“ vom Guten und Besten.
Seine Unterhaltung war intressant und schön-
Ich sagte: Ach, das möchte ich auch mal seh’n.
Einfach! Sagt Herr B.
Uebermorgen fahr ich wieder weg,
Da fahren sie ganz einfach mit.
Zwar überraschend kam für uns das Angebot,
Doch am andern Tage waren
Alle Formalitäten im Loth.
Jedoch am Abfahrtstage welch ein Graus
I0 Grad Kälte! Da bleib ich zu haus!
Sagt Paul , ist drüber sichtlich aufgeregt –
Nervös er durch die Zimmer fegt!!!
Nein! Ich bin doch nicht von Sinnen!
Aber Paul jun. und Martin
Verstanden ihren Papa umzustimmen.
So ging die Reise unvorbereitet los,
Herr B. fuhr uns tadellos
In seinem Volkswagen sass man weich und schön,
Sogar das Radio lies er geh’n.
Allmählich schwanden beim Paul Aerger und Verdruss ?
Man hat eben oft zu knacken eine harte Nuss ?
Die Scheiben des Wagens waren zugefroren,
Ganz gleich, uns pfiff der Wind nicht um die Ohren!
Trotz vereister Autobahn
Kamen wir mittags ½12 Uhr in Helmstett an.
Hier ging es durch die Grenzkontrolle –
Nach ¼ Stunde waren wir auf andrer Scholle.
Um uns zu wärmen gingen wir ins Grenzlokal
Wir legten ab Hut, Mantel und Schal –
Den ersten Eindruck, den es auf mich machte,
Als nette Bedienung den Kaffee mit Filter brachte.
Wir konnten uns nicht lang verweilen
Denn wir wollten uns beeilen.
Bald wollten wir erreichen unser Ziel,
Der Kilometer waren es noch viel.
Mit Musik ging froh und heiter
Die Autofahrt bis Münster weiter.
Hier war für uns die schöne Fahrt zu Ende,
Wir drückten zum Abschied uns herzlichst dankend die Hände.
Herr B. schlug `ne andre Richtung ein,
Fuhr schnell davon, um bald daheim zu sein.
Wir legten nun das letzte Stück
Im gut geheizten Zug zurück.
Gegen ½11 Uhr kamen wir an in Marie Veen,
Am Bahnsteig sahen wir schon Heinz und Johanna stehn –
Eine freudige Begrüssung war es und eine Herzlichkeit
Sich wieden zu sehen nach so langer Zeit.
Den ersten Abend beschlossen wir bald,
Wir waren müde, es stürmte drausen und es war kalt.
Heinz bot zum Schlafen ein Zimmer uns an,
Nett eingerichtet, gemütlich und warm.
Wir schliefen beide, wie ein Murmeltier
Ja sorgenlos schlafen konnte man nur im Westen hier!?!
Am andern morgen, es war der Tag der heiligen 3 Könige,
Nebenbei bemerkt – diesen Tag kennen bei uns nur wenige.
Die Sonne lachte und doch war’s kalt und rauh,
Heinz machte uns bekannt mit Familie M.
Mit Flötenspiel die Kinder weihnachtliche Lieder sangen,
Die uns vor Rührung bis in die Seele drangen.
Auch kleine Gedichte wurden vorgetragen,
Friedliche Stimmung, mit Worten nicht zu sagen.
Am Nachmittag spazierten wir zum Park der wilden Pferde,
Erst grosses Lauschen --- dann hatte man entdeckt die Herde.
Rings herum auf weiter Flur
Sah man nichts als Pferde nur.
Kräftige Tiere waren es und auch kleine Fohlen,
Davon wollte Georg sich eins holen.
Leider missglückte es dem kleinen Wicht,
Nein! Anfassen liesen sich die Pferde nicht.
Wir traten wieder den Heimweg an,
Für mich das „Rutschen“ wieder begann!
Erleben konnte ich wirklich eine Pleite –
Mit meinen „Ostschuhen“ machte das Laufen keine Freude.
Zu gehen auf gefrorenem Schnee und Eis
Jmmer rutschte ich, mal wurde es mir kalt, mal heiss.
Heinz und Paul haben mich abwechselnd unterm Arm genommen,
Damit ich konnte vorwärts kommen.
Ja, aus der Ostzone irgendwelche Sachen, können immer „Freude“ machen.
Am Abend haben wir zusammen geplaudert und erzählt,
Die Herren hatten sich das „Skatspiel“ auserwählt.
Gewöhnlich wurde spät wie immer
Dann gingen wir schlafen in’s gut geheizte Zimmer.
Nach angenehmer, sorgenloser Nacht,
Sind quietschvergnüngt wir morgens aufgewacht.
Als wir gefrühstückt hatten, reichlich und viel,
Besichtigten wir die Kirche und das schöne Krippenspiel.
Wir sahen uns an die Gärtnerei,
Die sauberen Ställe und die mustergültige „Schweinerei“.
Und unter Führung von Herrn M.
Sahen wir uns an, das Erziehungsheim genau.
Alles war pieksauber und schön ---
Sowas gibt’s bei uns „im Osten“ nicht zu seh’n.
Das war ein Tag der Sehenswürdigkeiten,
Der Bewunderung und Freuden.
Am folgenden Tag lud Heinz uns ein, mit ihm auszufahren,
Jm Tempo durch holpriches Gelände, über Stock und Stein,
Und durch grösste Pfützen wir gefahren waren.
Er zeigte uns die riesigen Flächen der Felder,
Die Heide und die umliegenden Wälder.
Am Ende des Tages gingen wir zum Schluss
Mit Familie M. ins Kino es war ein Genuss.
Den „Vogelhändler“ sahen wir uns an
derselbe farbenprächtig und schön, wir hatten grosse Freude daran.
Nachdem kehrten wir ein, in ein Lokal, sauber und fein.
Es wurden Schnäpschen und Bier getrunken,
Wir alle haben den Abend herrlich gefunden.
Alle in bester Stimmung waren,
Dann hat Heinz 6 Mann hoch heimgefahren.
Für uns werden diese schöne Stunden ewig in Erinn’rung bleiben
Drum hielt ich es ratsam, alles aufzuschreiben.
Am 9.Januar hiess es zeitig aus den Betten steigen
Denn Paul wollte Düsseldorf mir zeigen.
Morgens gegen 10 Uhr kamen wir alsdann
Bei Regen und Schneegestöber in Düsseldorf an.
Hier kam man aus den Staunen garnicht mehr heraus
Selbst das schlechte Wetter macht uns nichts aus.
Am eindrucksvollsten war für mich die „Kö“!
Trotz hässlichen Wetters fand ich herrlich die Allee.
Rechts und links der Strassenfronten
Die neuesten, feudalsten Autos standen.
Die Laden vollgestopft von guter Ware,
Lichtfülle überall! Sogar am Tage!
„Stromsünder“ würde das bei uns genannt
Wer am Tage soooviel hätte Licht gebrannt.!
Ja dort heisst es: Schone deine Augen durch gutes Licht!
Bei uns aber heisst es: Strom sparen! Das ist Pflicht!!!
Alles kam uns vor fast wie ein Märchen ---
Bettelarm kam man sich vor --- genannt schon „Bäuerlein Päärchen???“
Hier waren wir fremd, drum sahen wir uns um
Nach einem Polizeipräsidium.
Um die Adresse zu erfahren, wo „K.s“ gelandet waren.
Höflich, gern und hilfsbereit, gab er Beamte uns Bescheid.
Das Ziel hatten wir nun bald erreicht, als man uns hat den Weg gezeigt.
Wir klopften an, als es grad 12 Uhr schlug ---
Frau K. öffnete – sichtlich erstaunt über den Besuch.
Das Staunen war bald überwunden, es folgten angeregte Stunden.
Es wurde erzählt von einst und jetzt
Und was jedes Menschenherz ergötzt.
Wir wollten versuchen ein Gemälde im Westen zu verkaufen,
Weil ich mit meinen Schuhen nicht gut konnte laufen.
Für den Erlöss sollte ich bekommen ein paar warme „Trittchen“
Damit ich nicht mehr ängstlich machte kleine Schrittchen.
Leider war bisher noch nichts geschehen –
Also bliebs beim Alten stehen.
Da holte Frau K. eigigst und geschwind
Ein paar wunderschöne Schuhe für „das arme Kind“!!!
Dieselben passten tadellos, wie angemessen,
Ich werde das Geschenk der Frau K. nie vergessen.
Eigentlich gab es noch vieles zu erzählen,
Doch wir wollten unsern Zug ja nicht verfehlen.
Schnell packte Herr K. ein paar gute Zigarren,
„Sie“ ihre Schuhe für mich - - ich musste lachen.
Beglückt und doch beschämt kam ich mir vor,
Und dachte: Ach sind wir ein armer „Ostzonaler Tor“!?
Zurück ging’s wieder nach Maria Veen
Auf dem Weg nach dort, wir eine Grossgarage konnten seh’n.
Tageslicht hell, erleuchtet, alles verglast bis zum 3. Etage
Die Auto da hinauf zu fahren, dazu gehört schon allerhand Courage!
Zu Staunen gab es auf Schritt und Tritt,
Wir dagegen sind in Allem 50 Jahr zurück?
So könnte ich noch allerlei berichten,
Würde aber fertig kaum mit Dichten.
Bei Johanna fühlten wir uns wie bei „Muttern“
Sie gab uns immer viel zu futtern.
Der Tag der Abreise war gekommen,
Wir haben einander Abschied genommen.
Die Fahrt war sehr angenehm bis Helmstätt,
Die Leute aufgeschlossen, lieb und nett.
Von da ab ging es anders rum –
Wir waren ja im „Osten“ nun.
Die schönen Tage vergingen geschwind,
Dieselben nun zu Ende sind.
Oft werden wir an die schönen Stunden denken
Die Ihr in reichem Mase konntet uns schenken.
Wir sagen Allen recht herzlichen Dank
Für alles Gute, für Speise und Trank.


 

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