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Brief (Transkript)

[?] aus Stuttgart an Horst H. nach Magdeburg am 05.11.1959

 

Stuttgart, den 5.11.1959

Mein lieber Horst!

Zwischenzeitlich will ich doch einmal zu Dir kommen, sonst machst Du Dir wieder Sorgen um mich, um uns. Aber schau, wie oft an jedem Tag denke ich an Dich, an Dein Sein, Dein Tun und Wollen. Weisst Du, eigentlich empfinde ich Dich gar nicht so fern, weil Du mir bei den verschiedensten Dingen des Alltags ins Bewusstsein kommst. Besonders beim Besuch von Konzerten und Theateraufführungen bist Du mir besonders nahe. Übrigens was ich Dich fragen wollte, bist Du eigentlich bei den Städt. Bühnen in M. tätig und was hast Du hier für Aufgaben? Zur Zeit finden ja hier in Stuttgart die Schiller-Festwochen statt. Berühmte deutsche Bühnen, so Frankfurt, München, Kassel, Düsseldorf, Hamburg u.a. bringen die Schillerstücke zur Aufführung. Am Sonntag bringt Hamburg (mit Gründgens) „Wilhelm Tell“ im grossen Haus. Diese Vorstellung will ich besuchen.

Nun danke ich Dir recht herzlich für Deine Überraschung, für die „chinesischen Blätter“. Du, damit hast Du mir eine wirkliche Freunde bereitet. Diese Zartheit der Linien, diese Harmonie in der Gruppierung ist einfach wundervoll. Wenn ich sie so betrachte, muss ich unwillkürlich an uns Beide denken, ich finde in ihnen manche Paralellen zu unserem „sensiblen“ Sein. Du bringst mir damit immer wieder viel Verständnis, Einfühlungsvermögen, einfach Liebe entgegen.

Danken will ich Dir auch für Deine beiden Briefe und die Kartengrüsse. Ich will Ende dieser Woche näher auf sie eingehen und Dir ausführlicher schreiben. Deine Lektion über ein gewisses Thema will ich schon gelten lassen (mit kleinen Einschränkungen). Aber die Sensation, Du trägst einen Bart! Menschenskind, seit wann denn. Und wie siehst Du damit aus? Sag mal, finde ich mich da überhaupt noch zurecht? Aber ich kann mich erinnern, zu Dir mal gesagt zu haben, dass ich dieses Menetekel an Dir ganz gern sehen würde. Ich bin ja gespannt wie ein Regenschirm. Weisst Du, eigentlich müsstest Du ganz gut aussehen, ich selbst besitze künftig ein Spielzeug mehr an Dir. Was Dich eigentlich dazu bewegt, willst Du Existenzialismus exponieren? Sei mir nicht nörgelnd, Spatz, ich will Dich bestimmt nicht auf den Arm nehmen.

Dies soll mein Gruss für heute sein. Warte ein bisschen und Du bekommst mehr von mir zu hören. Sei mir nicht böse, weil ich die Schreibmaschine zu Hilfe nehme, aber warum soll man nicht die technischen Hilfsmittel im Dasein verwenden. Die Hauptsache ist ja eine andere, dass wir unser Herz und unsere Sinne dareingeben.

Herzliche grüsse und drücke an Dich. Ich bin Dir gut, Du weißt es und noch viel mehr.

Dein
[schwer lesbarer Name].

NS.

Du da fällt mir noch etwas ein. In den letzten Wochenhabe ich oft gedacht, warum ist der Horst eigentlich drüben und seine Eltern hier. Rundheraus, wie kamst Du eigentlich, warum und wann nach dort. Gell Du, ich bin mal wieder neugierig.

 

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