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Brief (Transkript)

[?] aus Stuttgart an Horst H. nach Magdeburg am 08.07.1959

 

Stuttgart, den 8.7.59

Lieber Freund!
Es ist heute schon 22.30 geworden, aber keine Macht der Welt vermag mich nun abzuhalten, Dir den längst fälligen Brief zu schreiben. Kein Wunder, dass Du Dich oft fragst, was „Er“ wohl so macht. Aber glaube mir, mein Junge, oft am Tage schreibe ich Dir „Gedanken“-Briefe, es sind meistens die besten Einfälle, Wünsche und Hoffnungen des Herzens. Schau aber, mein Bester, wir wollen es letzten Endes nicht davon abhängig machen, ob wir uns monatlich 10 oder nur 1 Brief schreiben, sondern davon, dass wir uns in Wirklichkeit mehr bedeuten, als es das geschriebene Wort je aussagen kann. Und doch wird es auch wieder so sein, dass Briefe eine gewisse Brücke bauen sollen und können, überhaupt wenn Menschen für längere Zeit getrennt sein müssen.
Nun will ich Dir herzlich danken für Deinen letzten lieben Brief nebst Beilage und für Deine beiden Kartengrüsse. Ich weiss es sehr gut, mein Horst, dass auch Glück und Liebe gestaltet, getragen und erduldet sein wollen, wie alles, was den Menschen so im Verlauf seines Lebens bedrängt und erfüllt. Man soll auch keineswegs die Zweisamkeit als „Vollendung“ und „Vollkommenheit“ ansehen. Auf dieser Erde gibt es das nicht, der Mensch muss sich vielmehr immer wieder bewusst werden, dass er hier keine „ewige“ Bleibe hat. Aber man soll suchen, bauen, streben, lieben, damit der Einzelne und mit ihm der Andere ein Höchstmass von „Erfüllung“ hiernieden erfahre. Mit anderen und vielleicht einfacheren Worten kann man sagen, dass der Mensch allein in seinem Menschentum geadelt wurde und daher auch tragfähig, d.h. fundamentiert ist.
An dem denkwürdigen Junitag war ich auch auf dem hiesigen Marktplatz und dachte den ganzen Abend an Dich, an die Menschen im anderen Deutschland. Das Bewusstsein bei uns für die Zusammengehörigkeit ist, so glaube ich, sehr stark im Wachsen. Wenn man die Gesichter der Tausenden studierte, wie viel echte Teilnahme, Sorge und Verbundenheit konnte man ablesen. Ob man ein Volk wie das unsrige auf die Dauer gesehen gewaltsam auseinanderhalten kann? Die Zeit, die oft grosse Wunden zu heilen vermag, wird vielleicht auch diese Frage beantworten. [weitere Seite fehlt]

 

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