Nach Zeitraum suchen

von 
bis 
SUCHE ZEITRAUM

Brief (Transkript)

Marta aus Hannover an Horst H. nach Stuttgart am 27.05.1966

 

Hannover d. 27.5.66

Mein lieber Horst und Waldemar!

Befor ich wieder heim fahre, muß ich Euch doch noch ein paar Zeilen schreiben. Hier handelt es sich um etwas, was ich Euch von drüben nie schreiben dürfte, es könnte ja sein: das mein Brief geöffnet würde und er in falsche Hände käme. Bitte schreibt mir auch keine Antwort hierher!
Wenn ich mir nicht meinen ganzen Urlaub verdorben hätte und nicht nach Bochum zu meinem Vetter u. Familie gewollt hätte Horst, dann wäre ich schon am liebsten am 2. Tag wieder heim gefahren. Vom Heinz mußte ich schon 2 Mal direkt eine Beleidigung einstecken, die mir die Tränen in den Augen trieb. Es geht dabei nur um politik. Ihr könnt mir glauben: nicht ich bin es die davon beginnt, es ist Heinz und sein Bekanntenkreis. Mir scheint der Kreis – oder besser gesagt: - die Verwandten dieser Menschen und auch die Verwandten von Heinz in der DDR sind nur darauf bedacht von ihnen hier recht viel zu bekommen und klagen daher, es giebt keine Butter, kein Fleisch – kein Quark – keine Haarklammer – keine Blumen usw. Horst ich weiß, daß es bei uns nicht so ist wie hier und das es vieles nicht giebt und auch mal Engpäße giebt – aber ich kann doch nicht etwas viel schlimmer machen als es ist vielleicht nur um Mitleid zu erwecken bei Euch, da würde ich mir wie ein Bettler vorkommen und lieber nicht hierher fahren. Ich habe nicht die Absicht, von hier Reichtümer mit zunehmen, ich will Euch wieder sehen und Euch besuchen. Das wir nun hier auf Eure Liebe angewiesen sind ist traurig, aber wir können es ja nicht ändern – leider! Sieh einmal: als ich im vorigen Jahr hier war, da sagte mir Heinz: ich sollte doch mal ein paar Weihnachtspiramyden schicken, die sind hier sehr gefragt und beliebt. Sofort, als ich heim kam, habe ich 2 sehr schöne gekauft. Billige gab es leider nicht mehr, so mußte ich für eine etwa 25,- Mark und für die andere etwa 23,50 Mark bezahlen – aber wie gesagt: sie waren sehr schön. Ich fragte sogleich an, ob sie nicht zu teuer sein und ob ich noch mehr schicken soll. Heinz bestätigte mir nur den Empfang ganz kurz und daß war alles. Am Osterdonnerstag rief mich Heinz kurz an und teilte mir mit, daß er bei mir vorbei kommt, da er nach Geringswalde fährt. Er war wohl kaum 2 Stunden bei mir, kam um 22.30 und fuhr gegen 24.00 weg. Es war für mich klar Horst: ich gab Heinz 150,- Mark, weil er mir im vorigen Jahr sagte, seine Verwandten geben ihm kein Geld – was er ihnen aber mitgenommen hat, daß glaubst Du nicht und das ist mir auch gleich, ich habe Heinz kaum jemals gebeten mir etwas zu schicken und würde daß auch nur im aller dringensten fällen tun. Nun haben wir uns bei Bekannten unterhalten und wenn ich dann sage: es ist nicht so schlimm wie man es ihnen schildert bei uns, dann wird Heinz so ausfallent und beleidigent im beisein von anderen Menschen. Du glaubst es nicht. Ich hatte ihm gesagt: als ich kam, wollte ich mir ein Paar schicke Pantoffeln bei uns kaufen, ich hätte aber keine schicken in meiner Größe bekommen. Nun stell Dir vor! Am Mittwoch u. Donnerstag waren wir in Bochum bei meinen Verwandten. Horst – ein Wiedersehen nach 25 Jahren. Heinz blieb erst nicht, sondern fuhr in der Nähe zu Bekannten. Er kam etwa um 16.30 wieder. Meine Verwandten baten, doch über Nacht zu bleiben und Heinz sagte ja. Nun wurde es sehr nett, es kam Bier und Schnaps auf den Tisch Heinz trank ja er betrank sich. In der Unterhaltung ging es nun wieder politisch loß. Wenn Heinz von uns drüben spricht, spricht er nur von „Schweinen.“ Er kam auch auf meine Pantoffeln zu sprechen, machte daraus „Schuhe“ und behauptete, ich selbst hätte erzählt, es gebe keine schicken Schuhe. Er ging sogar soweit: das er zu meinen Verwandten sagte: „Marta lügt! Lieber Horst und Waldemar – könnt Ihr Euch vorstellen, wir mir zu muthe war? Ich hätte im Erdboden versinken können. Ich habe mehrmals bereut, dass ich nicht mit dem Zug gefahren bin. Horst – Ihr beide – besonders Du weißt genau, wie ich über bestimmte Dinge bei uns denke – aber sagt mal – soll oder muß das jeder wißen? Ich weiß ja nie wer sind diese Menschen die mich herausfordern, daß könnte vielleicht zur Folge haben, daß ich mir ein für allemal mein Kommen nach hier verscherze. Wie froh war ich bei Euch, da gab es so viel Schönes und ich bereue bitter, daß ich nicht doch noch zu Euch gekommen bin oder länger bei meinen Verwandten blieb, denn hier bin ich nur immer Angriffen ausgesetzt und daß nimmt mir alle Freude am hiersein. Heinz ist nicht kleinlich aber auch ich nicht, wenn er zu uns kommt, ich mache ihm hier den Haushalt, bin fast immer allein und wenn ihm die Hausbewohner und Bekannten nicht gesagt hätten, daß er daran denken soll, das ich Urlaub habe, dann wäre er vielleicht überhaubt nicht mit mir raus gefahren. Bitte Ihr lieben Beiden: seit nicht böse, daß ich mal mein Herz leicht mache, es ist mir ein Bedürfnis und ich glaube, wenn ich im nächsten Jahr wieder nach hier komme, dann aber nicht zu Heinz. Ich mache mir Sorgen um seinen Gesundheitszustand und hatte mich gefreut ihn hier solange ich da bin zu umsorgen, aber mich beleidigen zu laßen, daß habe ich nicht nötig und das würde ich ihm auch schreiben.
Bitte seit mir nicht böse, aber ich sitze hier und habe Tränen in den Augen. Habt Dank, daß wenigstens Ihr Verständnis für mich habt und laßt Euch liebe umarmen von Eurer Marta.

Mir scheint es fast als wäre es Heinz zuviel, daß ich noch eine Woche bleibe.

 

top