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Brief (Transkript)

Fred A. aus Güstrow an Horst H. nach [?] am 17.11.1957

 

Güstrow, 17.11. [1957]

Lieber Horst!

Heute Abend ist hier „Räuberpremiere“ und ich komme fast um vor Angst. Es ist eigentlich komisch, denn ich hatte von anfang der Probenzeit an das Gefühl, daß ich als Spiegelberg falsch besetzt bin und darum versagen werde und heute abend wird sich dieses Gefühl in mir bestätigen. Ich habe mir alle Mühe gegeben dieser Rolle gerecht zu werden, doch ich habe es einfach nicht geschafft, obwohl der Regiseur und auch Kollegen das Gegenteil behaupten. Nun heute abend wird es sich beweisen wer recht behalten wird. Ich bin selber gespannt darauf.
Seit zwei Tagen bin ich Besitzer eines Fahrzeuges, ich habe auf Sparvertrag mir diesen neuen Berlin-Roller in Rot gekauft, nun muß ich noch einmal im Dezember 135 M. bezahlen, dann brauche ich nicht mehr so zu knausern, denn ab Januar muß ich dann nur noch 80 M. bezahlen. So schwer mir das alles geworden ist, jetzt da ich es bald hinter mir habe freue ich mich doch sehr, denn mit so einem Ding ist man doch etwas beweglicher. Ich hoffe, daß ich spätestens im Januar die Fahrerlaubniß machen kann, denn diese ist natürlich wichtig. Angemeldet habe ich mich schon lange, doch hier in Mecklenburg geht alles langsam.
Was Du mir über die Schillerfeier geschrieben hast, wundert mich nicht, denn bei uns wurde die Einführung zu unserer Inszenierung mit folgendem Satz begonnen. Schiller wußte noch nichts von Hitler, doch als er die Räuber geschrieben hat, ahnte er ihn bereits. Darüber nun zu diskutieren wäre falsch, denn gegen eine derartige Mauer von Selbstverblendung kann man nicht angehen, das muß sich von selbst geben. Das dumme an der Sache ist nur, daß unter diesem Leitmotiv die ganze Inszenierung steht und jeder das Theater liebende Mensch das einfach mitmachen muß obwohl er weiß, daß Schiller damit verfälscht wird. Aber was soll man machen?
Lieber Horst mit diesen Gefühlen steige ich in die Premiere und hoffe, daß Schiller verzeihen wird, was man unter seinem Namen tut!

Fred A.

 

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