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Brief (Transkript)

Klaus S. aus Köln an Jürgen L. nach Budapest im März 1990

 

[Anfang März 1990]

Hallo Ihr Zwei,

ich war ja doch recht erstaunt einen Brief von Euch aus Budapest zu bekommen, obwohl Ihr ja schon angekündigt hattet, daß Ihr bald dorthin wollt, aber so schnell, da hab’ ich ja nicht mit gerechnet. Ich kann mir vorstellen, daß es nicht so einfach ist, in einem anderen Land, mit anderem Kulturkreis und vor allem anderer Sprache schnell Fuß zu fassen und klar zu kommen. Aus Eurem Brief gehen ja so einige Schwierigkeiten hervor. Aber ich denke, Ihr Beide seid so aufgeschlossen und gewillt, Euch dem Leben dort anzupassen, daß die anfänglichen Schwierigkeiten bald der Vergangenheit angehören. Schlimm stelle ich mir vor, keine eigenen vier Wände zu haben und man auf die Mitbewohner Rücksicht nehmen muß. Dies geht `ne Weile gut, bis dann irgendwann das Maß voll ist. Ihr schriebt ja davon, daß Ihr bei Szunyi gewohnt habt und das es ja auch wohl nicht das Gelbe vom Ei war. Aber ich bin fest davon überzeugt, daß Ihr es schaffen werdet und ich bewundere Euch, daß Ihr diesen Schritt gemacht habt. Manchmal möchte ich auch aus dieser Welt ausbrechen und in einem anderen Land ein neues Leben aufbauen, aber es hält mich noch zu viel hier fest. Auch unser liebes Deutschland hängt mir zum Hals `raus. Die ganze Wiedervereinigung der Zuzug der Übersiedler, die blindlings ihr Land verlassen und bessere Zeiten hoffen und hier in Turnhallen Kasernen, Schiffen „vegitieren“, weil man nicht weiß, wohin mit den vielen Menschen – Arbeit, Wohnung. Auch die sozialen Ungerechtigkeiten, die täglich aufgedeckt werden, führen dazu, daß eine schlechte Stimmung verbreitet wird. Ich glaube nicht, daß es so, wie es jetzt ist, weitergehen kann. Ich weiß nicht, ob Ihr das alles in Ungarn mitbekommt. Chaos!! Ich muß mich erstmal entschuldigen, daß ich solange nichts von mir hab’ hören lassen. Ich hatte im Januar sehr wenig Zeit, wegen einer Klausur und im Februar hatte ich zwar Ferien und Zeit aber keine Lust mich hinzusetzen und einen Brief bzw. überhaupt zu schreiben. Jetzt, wieder in Köln und im Studium, erledige ich meine ganze Korrespondenz. In den Ferien war ich so faul, daß ich rein gar nichts gemacht habe. Ich habe viel gelesen, Kaffee getrunken, gutes Essen bei Muttern gehabt und mich einfach gehen lassen. Ich muß sagen, daß es sehr gut getan hat mal wirklich nichts zu tun. Nach den 3 Wochen bin ich aber froh, daß ich wieder in Köln bin und studiere. Vor den Ferien hatte ich Köln und meine Wohnung so richtig satt und der Ortswechsel war gut. Zwischendurch war noch Karneval, was ich natürlich ausführlich gefeiert habe, mit Freunden und Bekannten, in Olfen. In einer kleinen Stadt wie Olfen ist die Karnevalszeit so etwas wie Feiertag. Alles ist ausgelassen und man trifft Leute wieder, mit denen man früher mal mehr gemacht hat, sich aber aus den Augen verloren hat. Es ist fast wie eine große Familie. Natürlich geht die ganze Sache nicht ohne Alkohol ab. Doch es ist irgendwie ein gemütliches Besäufnis. Es ist selten, wie zB in Köln, daß bei uns jemand wegen übermäßigen Alkoholkonsums mit dem Rettungswagen abtransportiert werden muß. Gefeiert wird im Prinzip von donnerstags (Weiberfastnacht) bis dienstags (mehr oder weniger). Gerade donnerstags ist es sehr lustig, weil da die Frauen in Gruppen losziehen, alle verkleidet als Teufel, Vampir und Phantasiekostümen. Da ist es dann so, daß man in einer Kneipe auf 10 Teufel, 5 Vampire, 10 Frösche oder so trifft. Ein witziges Bild. Tja, wir gehen dann mit Freunden durch die Kneipen, trinken hier ein Bier, halten dort ein Pläuschchen und tanzen und singen recht ausgelassen. Ich weiß gar nicht, ob Ihr überhaupt Karnevalsfreunde seid, aber ich glaube es würde Euch bei uns gefallen.
Wahrscheinlich werde ich im Laufe des Jahres umziehen, und zwar mit einem Freund aus Olfen zusammen. Er will in Köln die Technikerschule besuchen. Es steht leider noch nicht fest, ob und wann er kommt, da er noch keine Zusage von der Schule hat, aber ich denke und hoffe, daß es klappen wird. So langsam hab’ ich nämlich auch die Nase voll vom alleine wohnen, obwohl es viele Vorteile hat. Aber mittlerweile halten sich Vor u. Nachteile alleine wohnen und WG die Waage und ich möchte es einfach mal versuchen.
Die Bilder habe ich entwickeln lassen und nach Berlin geschickt. Es hat nur `ne ganze Weile gedauert und ich hoffe, daß es nicht so schlimm ist. Ich entwickle zwar schwarz/weiß Filme selber, aber das vergrößern zu Bildern ist mir echt zu zeitraubend, weil es mit vielen Umständen verbunden ist. Bei einzelnen Vergrößerungen ist das nicht so schlimm, aber 3 Filme ist fast ein Tag Arbeit und Lust muß man auch erst mal aufbringen einen Tag im Dunkeln zu verbringen. Das soll aber jetzt nicht heißen, daß Ihr keine Filme mehr schicken sollt. Es geht mir nur darum, daß Ihr wißt, daß ich die Filme nicht selbst vergrößere, abgesehen von größeren Bildern, die anders ausgearbeitet werden müssen.
So Ihr zwei. Ich wünsche Euch noch viel Spaß in Ungarn, und daß es so wird, wie Ihr Euch das vorstellt.
Laßt mal wieder von Euch hören/lesen.

Bis dann
alles Liebe
Klaus

P.S: Die neue Adresse zu schreiben, ist ja nur witzig. Kann mir fast gar nicht vorstellen, daß der Brief überhaupt ankommt, aber ich gehe mal davon aus.

 

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